Productivity & New Work Entscheider: Sollte man Vorgesetzten im Meeting widersprechen?

Entscheider: Sollte man Vorgesetzten im Meeting widersprechen?

JA

Meetings sind oft nur schwer zu ertragen. Königgleich sitzen Chef, Chef-Chef und manchmal sogar Chef-Chef-Chef vor der versammelten Mannschaft und predigen ihr Wissen. Wissen über das Unternehmen, Wissen über die Kunden, Wissen über dieses und über jenes.

Und wie es Hierarchien so wollen: Je höher die Chef*innen sitzen, desto mehr Weisheit vereinen sie in sich, desto größer meist das Sendungsbewusstsein. Das ist eine Welt, in der Widerspruch gerne mal damit endet, dass die Widersprechenden öffentlich guillotiniert werden. Das verschreckt Nachahmer*innen, das zementiert Macht, das stützt die natürliche Ordnung vom rex dei gratia, die in ihren Unternehmen machen können, was immer sie wollen.

Okay, okay, okay – zugegeben: Meist ist die Sache nicht ganz so dramatisch. Aber, wetten, jede*r hat ein Bild dieser Meetings im Kopf. Das Einzige, was bei diesen Typ*innen hilft, ist ein heftiger Realitätsabgleich, der sie zurück auf den Boden der Tatsachen holt. Denn wo eine*r meint, das Sagen zu haben, wird Widerspruch zur Pflicht! Oder wie war das noch mal?

Aber im Ernst: Natürlich geht es um mehr als bloßes Dazwischenreden. Hier geht es um eine Änderung der Ausrichtung, um zeitgemäßes Führen im 21. Jahrhundert. Es geht um das Wohl des Unternehmens. Es geht darum, dass Mitarbeiter*innen sich trauen, offen zu sprechen, in den freien Dialog zu gehen und zu sagen, was sie denken – nicht nur vor Kolleg*innen, sondern auch vor den Vorgesetzten.

Das Got­tes­gna­den­tum ist als Führungsstil im vergangenen Jahrhundert hängen geblieben – zu Recht. In modernen Unternehmen sollte man als primus inter pares führen – und aushalten, wenn jemand den Mund aufmacht.

Bastian Hosan

Nein

Gut, dass wir im Europa des 21. Jahrhunderts leben. In China ist es gefährlicher, seine Chef*innen öffentlich zu kritisieren. Erst im Dezember wurde der Hongkonger Aktivist Joshua Wong für Kritik am System zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, seiner dritten. Mit gerade mal 24.

Russland arbeitet lieber mit Gift. Und auch beim Militär sieht man Kritik am Vorgesetzten nicht so gerne. In allen Armeen der Welt gilt das als Verbrechen und kann mit schweren Strafen geahndet werden. Nun haben wir in Deutschland dank Versammlungs- und Meinungsfreiheit keine solch drakonischen Strafen zu befürchten, wenn wir die Obrigkeit kritisieren.

Heute sind die Strafen subtiler. Enter evil laugh here. Denn welche Vorgesetzten werden schon gerne in ihrer Autorität untergraben? Besonders schmerzhaft fürs Ego: Wenn der Widerspruch in einer größeren Runde geäußert wird und, noch schlimmer, wenn Externe dabei sind, die beeindruckt werden wollen.

Viele Vorgesetzte mögen cool mit Kritik sein oder zumindest so tun, als würden sie sie begrüßen, „solange sie konstruktiv ist“ und natürlich gerne als Sandwich verpackt: Lob – Kritik – Lob. Aber bei nachtragenderen Vorgesetzten mag sich die Kritik wie ein Messerstich in den Rücken anfühlen, die Tiefe der Wunde variierend nach Grad der Kompetenzunterwanderung.

Die gewählten Strafen können von der Zuteilung nerviger Aufgaben bis hin zu Beförderungsverschleppung reichen. Man sollte sich also gut überlegen, ob sich der Aufstand lohnt. Bernd Stromberg sagte einst: „Kolleg*innen sind wie Pickel, die hat man auch, ob man will oder nicht.“ Oft also besser: lächeln, nicken und winken. Ist auch gut für den Blutdruck.

Insa Schniedermeier

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