Green & Sustainability Mit Tools zur Körper- und Kleidervermessung gegen den Retourenwahnsinn

Mit Tools zur Körper- und Kleidervermessung gegen den Retourenwahnsinn

Zu groß, zu klein, zu eng, zu weit: Jedes zweite bestellte Kleidungsstück wird zurückgeschickt. Den Kund*innen egal, fürs Klima ein Drama. Die beiden Berliner Start­ups Sizze und Footprint rücken deswegen jetzt mit neuen Tools zur Körper- und Kleidervermessung an.

Ende 2020 fand ein eigenartiges Weihnachtsfest statt. Der Einzelhandel hatte geschlossen, Kaufhäuser waren dicht, in den Fußgängerzonen konnten Geschenkideen bloß noch durch die beschlagenen Scheiben der Schaufenster betrauert werden. Die großen Gewinner*innen: Onlineshops. Viele E-Händler*innen haben von diesem pandemiebedingten Ausnahmezustand sehr profitiert.

Doch mit der zunehmenden Zahl an Bestellungen wuchs auch die Zahl der Retouren – allein in Deutschland sind es jährlich schätzungsweise mehr als 300 Millionen Bestellungen, die sich ein zweites Mal auf den Weg machen. Jede sechste Bestellung wird hier zurückgeschickt. Im Segment Kleidung und Schuhe ist es noch dramatischer, dort liegt die Quote an Rücksendungen laut Wissenschaftler*innen seit Jahren bei fast 50 Prozent.

Die Retouren liegen auf eine Art in der Natur der Sache: Woher soll man auch wissen, wie die Badeshorts oder die Stiefel sitzen? Von den wenigen Bildern, die einem die Onlinehändler*innen zeigen? Die Größenangaben sind legendär ungenau, mal ist eine M zu weit, mal eine L zu kurz. Wenn man zwei Größen bestellt, kann man sich wenigstens einigermaßen sicher sein, dass eine von beiden passt. Die andere? Wird wieder eingepackt und zur Poststelle gebracht. Bequemlichkeit siegt.

Was für viele Kund*innen verlockend ist, hat für das Klima verheerende Folgen. Mit den Rücksendungen gehen absurde Transportwege einher. Die CO2-Bilanz von Retouren? Nicht gerade niedrig. Über 230.000 Tonnen CO2 sollen es allein 2018 gewesen sein, hat ein Forschungszentrum aus Bamberg berechnet. Zum Vergleich: Das sind über 2000 Autofahrten von Hamburg bis nach Moskau. Pro Tag! Ein Problem, das vielleicht gerade noch nicht für alle greifbar ist, aber am Ende alle betrifft.

Gegen den Retourenwahn gehen ­Fa­shion­tech-Startups wie Presize schon seit einiger Zeit an. Mit seiner Videoscan-Lösung kann Presize auf den Nanometer genau den Umfang von Gliedmaßen errechnen und so das perfekte Match zwischen Kunde*Kundin und gewünschtem Kleidungsstück ermitteln. In nur wenigen Sekunden erfahren die Kund*innen, welche Größe sie benötigen.

Presize ist nicht das einzige Startup in der Fashiontech-Branche, das sich diesem gewaltigen Problem stellt. Mittlerweile haben sich auch zwei weitere junge Angreifer*innen in Berlin etabliert, die dem Fashiontech-Riesen mit ihren eigenen Tools Konkurrenz machen wollen.

Westberlin am Kurfürstendamm. Zwischen Luxusboutiquen, Fast-Food-Ketten und Coworking-Spaces haben Gabriela Kaminski und ihr Team ihr Büro in einem Altbau über einer Kunstgalerie. Sieben Mitarbeiter*innen, darunter auch Kaminskis Mann und Tochter, arbeiten hier an Sizze. Einem Tool zur Kleider- und Körpervermessung. Kaminski selbst kommt aus der Modebranche, hat in Frankfurt erfolgreich eine Boutique geführt, ist dann auf Ebay umgestiegen. In ihrem Keller hatte sich Kleidung angesammelt, die Kaminski schnell und bequem loswerden wollte. Über 24.000 Euro Gewinn machte Kaminski in einem Jahr – nur mit der Kleidung aus ihrem Keller.

Was Kaminski jedoch oft zu aufwendig war: die Kleidung zu vermessen, um ihren Kund*innen die genauen Maße mitteilen zu können. Recherchen nach einer App, die Kaminski dabei hätte helfen können, endeten vergeblich. Auch Presize hätte ihr in diesem Moment nicht helfen können. Ihre Körpermaße brauchte Kaminski ja nicht. Sondern ein Tool, das ihr schnell und ohne Aufwand die genauen Maße ihrer Kleidung ermittelt.

Also schaffte Kaminski sich einfach ihre eigene Lösung und entwickelte gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter ein KI-basiertes Instrument, das genau das kann, wofür sie sonst sehr viel Geduld und ein Maßband bräuchte: Kleidung in Sekundenschnelle vermessen. Und so die perfekte Größe für ihre Kund*innen herausfinden.

Gabriela Kaminski ist seit 28 Jahren in der Modebranche selbstständig tätig. Bis ihr die Idee eines Tools zur Körper- und Kleidervermessung kam, führte sie in Frankfurt eine Boutique für Kindermode und verkaufte anschließend Kleidung auf Ebay.
© Gabriela Kaminski

Vor gut einem Jahr entstand der erste Prototyp von Sizze, gerade befindet er sich in der Testphase. „Wir bieten zwei Features an: die Kleidervermessung und das Body-Measurement“, sagt Kaminski. Sizze setzt auf alle Mode-Onlinehändler*innen mit Erwachsenenkleidung. Wie aber lässt sich das Tool von Sizze in einem beliebigen Onlineshop integrieren?

Ganz einfach: Der Shop macht Fotos von seinen Kleidungsstücken. Diese sendet er an die Software von Sizze, und innerhalb weniger Sekunden erhält er die genauen Maße des jeweiligen Kleidungsstücks. Dazu kann der Onlineshop einen Button auf seiner Homepage inte­grie­ren, auf den die Kund*innen klicken, um ihre Körpermaße errechnen zu lassen. Dafür muss man nur seine Körpergröße angeben und ein Foto von sich im Spiegel machen. „Durch unser Matching erhalten die Kund*innen nach zwei Sekunden ihre Körpermaße und können diese dann ganz leicht mit denen des Kleidungsstücks vergleichen“, sagt Kaminski.

An dem Punkt, ein Foto von sich zu machen, wird man vielleicht skeptisch sein. Doch Kaminski ist zuversichtlich: „Datenschutz ist uns sehr wichtig. Die Daten werden wieder gelöscht. Die Kund*innen müssen sich keine Sorgen machen.“ Außerdem ist es bei Presize ähnlich: Die Kund*innen platzieren das Smartphone vor sich und scannen ihren Körper. Eine Hürde, die vielleicht nicht alle direkt überwinden können.

Der Erfolg von Presize aber zeigt: Das scheint am Ende kein großes Problem zu sein. Für die Endkund*innen bedeutet Sizze vor allem Gewissheit. Mit der Lösung des Berliner Startups ist man nicht mehr gezwungen, gleich zwei Größen eines Kleidungsstücks zu bestellen.

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