Female Entrepreneurship Oh Woman: Ein Brettspiel für die weibliche Periode

Oh Woman: Ein Brettspiel für die weibliche Periode

Mit einer Oberfräse schneidet Sebastian Strauch sechs kleine, runde Mulden in eine helle, mitteldichte Holzfaserplatte im Din-A5-Maß, dann eine größere, längliche Mulde am Ende. Zwei dieser Bretter fertigt Schreinermeister Strauch aus dem bayrischen Aichach an, verziert die Mulden mit blutroten Ornamenten, montiert die Bretter aneinander – fertig ist ein wichtiges Instrument, um Teenager:innen in der Pubertät die Basics über den weiblichen Körper und die Menstruation zu vermitteln.

Denn die kleinen Mulden stellen im Periodenspiel „Oh Woman“ die Vaginen dar, die großen Mulden Binden, und zwischen diesen wandern ebenfalls blutrote, schimmernde Blutstropfen als Spielsteine über das aufwendig gestaltete Spielbrett.

Das ist die Grundlage des Spiels „Oh Woman“ im Rohzustand.

Vaginen und Binden auf einem Spielbrett? Bluts­trop­fen als Spielsteine? Was ist hier überhaupt los? Die Idee kam Stephanie Renz im März 2020 bei einer Partie „Kalaha“ mit ihrer jüngeren Schwester. „Kalaha“, muss man wissen, ist ein Strategiespiel für zwei Personen, bei dem Spielsteinchen nach komplexen Regeln in Mulden verteilt werden. Ziel: mehr Steine zu sammeln als der Gegner oder die Gegner:innen. „Als wir das gespielt haben, fand ich plötzlich die Vorstellung witzig, die Spielsteine wären Blutstropfen, und das Design wären Vaginen und Binden“, sagt Renz. Mit ersten Skribbles ging sie zu Tania Hernández. Ab diesem Moment ließ der Gedanke Hernández und Renz nicht mehr los – schließlich begleitet sie, wie alle Frauen, die Menstruation durchs Leben.

Das Spiel „Oh Woman“, das im Oktober 2020 durch Crowdfunding finanziert wurde, richtet sich hauptsächlich an Teenager:innen zwischen zehn und 17 Jahren. Doch wie entwirft man ein Produkt, bei dem man selbst nicht Teil der Zielgruppe ist? Für Renz und Hernández kein Problem. „Oh Woman“ basiert auf ihren eigenen Bedürfnissen. Auf Themen, über die sie schon im Jugendalter gerne mehr gewusst hätten und nicht erst als erwachsene Frauen Ende 20. Auf der Crowdfunding-Seite heißt es: „,Oh Woman‘ ist das Spiel für alle, die mehr über den weiblichen Körper und die Periode erfahren möchten. ,Oh Woman‘ ist das Spiel, das aufklärt und damit Mythen um den weiblichen Körper spielerisch auflöst.“

Das fertige Spiel. ©herzbube

Tatsächlich sind die Fragen auf den Spielkarten einfach gehalten und müssen nur mit richtig oder falsch beantwortet werden. Die Chancen liegen also bei fifty-fifty. Das Menstrual Health Hub, eine in Berlin ansässige NGO, die sich die Aufklärung über weibliche Sexualgesundheit zur Aufgabe gemacht hat, hat die Fragen geprüft, damit alles seine Richtigkeit hat. Alle Erlöse des Spiels werden an den gemeinnützigen Verein Periodensystem in Berlin gespendet, der sich für den bezahlbaren Zugang zu Hygiene- und Menstruationsartikeln für Bedürftige und gegen Periodenarmut einsetzt.

Doch anfangs waren sich Hernández und Renz, erzählen sie ganz ehrlich, selbst nicht sicher, ob das Periodenspiel nur eine Schnapsidee war, die wieder in der Schublade verschwinden würde. Oder geht es damit sehr viel weiter?

Aufklärung mit Markenwissen

„Ein ansprechendes Design ist ein guter Weg, ein vermeintlich unangenehmes Thema aus der Tabu-Ecke zu holen“, sagt Stephanie Renz bei einem Gespräch via Videocall. Doch witzige Gestaltung alleine reichte Renz und Hernández nicht. Ihr Spiel sollte einen größeren Mehrwert haben. Sie entschlossen sich, Spaß und Aufklärung rund um den Körper und die Menstruation zu verbinden. Spielkarten mit Fragen zur Periode sollten das Holzbrett ergänzen.

Schritt für Schritt ergab die Idee einen Sinn, dazu arbeiteten Hernández und Renz an einem Brand-Guide, darin sind Renz und Hernández Expertinnen, gemeinsam leiten sie die Agentur What the Fish und beraten Marken zu Design, Strategie und Management. Den Namen für das Spiel wählten sie bewusst in Englisch. Nicht, weil es cooler klingt. „In ‚woman‘ steckt auch das Wort ‚man‘. Damit wollen wir sagen, dass das Thema Menstruation alle Menschen etwas angeht“, erklärt Renz. Die Aufklärungsarbeit zu revolutionieren, Teenager:innen zu empowern und als Gründerinnen sichtbar zu sein sind ihre Markenwerte und Mission.

Die beiden Gründerinnen Stephanie Renz (links) und Tania Hernández (rechts). ©Rosi Offenbach

Als Renz im Mai mit den ersten Entwurfsideen zu Schreinermeister Sebastian Strauch ging, war er sofort Feuer und Flamme, sein Know-how einzubringen. Eigentlich produziert die Schreinerei High-End-Innenausbauten. Jedoch verfolgt das Familienunternehmen das Konzept: Alle Aufträge, die nicht Standard sind, werden angenommen. Das Spiel passe da rein, meint Strauch.

Schule und Sexualkunde? Fehlanzeige.

Doch für ihn war noch ein anderer Grund ausschlaggebend: „Als ich als Kind das erste Mal einen Tampon in der Hand hatte, habe ich ihn unter Wasser gehalten und war fasziniert davon, wie toll er sich aufsaugt. Lerneffekt Ende“, erzählt er. Flashback in die eigene Jugend: Aufklärung durch die „Bravo“, Internet und Sexualkunde im Biologieunterricht. Rationale Erklärungen der Lehrkräfte trafen auf pubertäres Gekicher. Dabei wurde auch nur über das Nötigste gesprochen, die Sache mit den Bienchen und den Blümchen. Hernández sagt: „Wie verändert sich der Weißfluss? Muss ich mich im Intimbereich rasieren, wenn ich zum Frauenarzt gehe? Das sind Fragen, die Menstruierende beschäftigen, die aber in keinem Lehrbuch stehen.“

Sie und ihr Team sehen in dem Spiel die Chance, eine Marktlücke in der Bildungsbranche zu schließen. „Die meisten Erwachsenen haben das Jugendwissen zum Thema Sexualität bis heute nicht aufgeschlossen“, sagt Strauch.

Kurzer Check: Vagina und Vulva bezeichnen das Gleiche? Periodenblut verhält sich wie normales Blut? Während der Menstruation werden mehr Kalorien verbrannt? Na? Die Auflösung: falsch, falsch, richtig. „Wenn wir das vorherrschende Unwissen mit ,Oh Woman‘ verändern können, dann ist es für künftige Generationen ein wahnsinniger Gewinn“, sagt Strauch.

Spaß, statt nervöses Kichern

Dass das Spiel Potenzial hat, war Strauch ebenso schnell klar wie Renz und Hernández. Doch wie konnte es produziert werden, um am Ende zu einem fairen Preis verkauft werden zu können? Über den Designentwurf haben Renz, Hernández und Strauch lange diskutiert. Welche Materialien sollen verwendet werden? Welche Maschinen können zum Einsatz kommen? Strauch sagt: „Zwischendrin ist jemandem aufgefallen, dass wir uns darüber unterhalten, welche Farbe der Punkt haben soll, der den Kitzler darstellt? Ob die linke Schamlippe größer sein soll als die rechte? Und das mit einer Sachlichkeit, dass es schon wieder komisch war.“

Schreinermeister Sebastian Strauch, wie er dem Spiel einen Feinschliff gibt.

Das Crowdfunding auf Startnext für „Oh Woman“ startete im Frühherbst 2020. Die ersten Spiele konnten vorbestellt werden – und waren bereits in der Anfangsphase der Kampagne vergriffen. Lehrkräfte, Sexualpädagog:innen und Eltern, alle hatten Interesse. „Man hat uns gesagt, beim Crowdfunding müssen der Anfang und das Ende richtig stark laufen, damit man sein Ziel erreichen kann“, sagt Renz. „Genauso war es auch bei uns.“

Die Serienproduktion von „Oh Woman“ soll noch in diesem Jahr starten, der Onlineshop ist seit Februar live. Weitere Editionen des Spiels sind in Überlegung, beispielsweise eine Sex-Edition oder eine über das männliche Geschlecht. Das Ziel ist klar: Renz und Hernández wollen aus „Oh Woman“ ein Unternehmen machen. Und dafür sorgen, dass künftig beim Thema nicht mehr beschämt gekichert und weggehört wird. Sondern mit vollem Einsatz gespielt und aus Spaß gelacht.

Dieser Text stammt aus unserer aktuellen Ausgabe 1/21.132 druckfrische Seiten mit acht Storys über die Zukunft der weltweiten Gesundheitsindustrie. Außerdem: Start unserer neuen Serie Personal Finance, ein Besuch im ehrgeizigen Gründer-Hotspot Ostwestfalen-Lippe und die Geschichte von zwei Gründerinnen in Kolumbien, die ein weltweit agierendes Fashionlabel aufbauen. Also ab zum Kiosk oder zum Aboshop.

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