Life & Style Rockmusiker Ville Valo: „Ich arbeite viel in der Badewanne“

Rockmusiker Ville Valo: „Ich arbeite viel in der Badewanne“

Der finnische Rockmusiker Ville Valo ist vor allem als Sänger der Band HIM bekannt. Jetzt geht er seinen Weg als Solokünstler – und Pizza-Unternehmer.

Herr Valo, Sie waren 26 Jahre lang der Sänger der Band HIM, jetzt kommt das erste Soloalbum. Was ist anders?

Als wir mit HIM begonnen haben, waren wir noch Kinder. Wir haben uns mit zwölf Jahren kennengelernt, bevor wir etwas über Schule und Jobs wussten. Als wir erfolgreich wurden, war unsere Karriere ein einziger Höhenflug. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem wir unser letztes Konzert gespielt hatten, am nächsten Tag aufwachten und nur Erleichterung spürten. Im Positiven. Die Zeit mit der Band war großartig, und die Abschiedstournee lief gut. Es stellte sich bei uns ein Gefühl von Ruhe ein, weil wir wussten, dass das Ende da ist.

Wann ist denn der beste Zeitpunkt, eine Karriere zu beenden?

Es ist nicht so, als hätten wir nicht alles versucht, um als Band weiterzumachen und neue Inspirationsquellen zu finden. Aber wir drifteten auseinander, und der Funken war nicht mehr da. An dem Punkt sollte man spätestens aufhören, wenn man es sich finanziell leisten kann. Es hat sich nur noch angefühlt wie ein Job, mit dem ich meinen Lebensunterhalt verdiene.

Was wollen Sie bei der Solokarriere anders machen?

Die beste Geschäftsentscheidung, die wir je getroffen haben, war, einen Manager einzustellen, der die Band wirklich liebte. Das will ich wieder so machen. Als ich zum ersten Mal nach Deutschland kam, traf ich einige Leute von einer Plattenfirma in Bochum. Mir wurden 18 000 Mark für all meine zukünftigen Veröffentlichungen angeboten. Unser Manager riet mir, das Angebot abzulehnen. Zum Glück tat ich das. Für jemanden wie mich, der damals nichts hatte, klang das nach viel Geld, aber in Wahrheit war es ein schlechter Deal.

Klingt, als wären Sie mehr Musiker als Geschäftsmann.

Mick Jagger und Gene Simmons von Kiss sind die Einzigen, die beides sein können. Für mich ist es kompliziert, weil die verschiedenen Hemisphären des Gehirns sich vermischen. Es ist besser für Musiker:innen, sich auf den emotionalen Aspekt zu konzentrieren. Wenn man anfängt, Kunst und Kommerz zu vermischen, kommt man in die Position, Kompromisse in beiden Bereichen machen zu müssen. Ich möchte auch nicht in Businessmeetings sitzen. Das ist nicht meine Welt.

„Geld in der Hand ist besser als Geld auf der Bank“

Ville Valo

Allerdings haben Sie seit Neuestem eine Kooperation für vegane Pizza.

Ich verdiene daran kein Geld. Ich bekomme nur Gratispizza. Ich wollte neben Musik noch eine andere Aufgabe haben. Viele Musiker:innen sind aber daran interessiert, Business zu machen. Ich glaube, das kommt vor allem aus dem Hip-Hop. Viele machen Kleidung. Das meiste Geld, das direkt an den Musiker:innen geht, kommt nämlich aus dem Merchandising. Das ist ein großartiges Beispiel für eine Art indirektes Einkommen. Als Rockmusiker verdient man heutzutage kein Geld mehr aus Plattenverkäufen und Konzerttickets. Man muss also andere Wege finden.

Und die Gratispizza ist Lohn genug für den Aufwand?

Man macht als Musiker:in einige Dinge, an denen man kein Geld verdient. Man macht sie aber, um die eigene Marke aufzubauen. Ich bin kein Geldmensch. Ich gebe Geld für Abendessen oder Freund:innen aus. Richtig mit Geld umzugehen ist für mich eine Sache des Managers. Ich bin zufrieden mit einem Lohn, der mich bodenständig bleiben lässt und der mir ein Dach über den Kopf sichert.

Aber das Geld für Sie als Privatperson verwalten Sie selbst? Oder vertrauen Sie da auch anderen?

Ich investiere mein ganzes Geld, das ich noch durch HIM bekomme, in Musikequipment. Ich finde: Geld in der Hand ist besser als Geld auf der Bank. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, dann würde ich in Aktien von Apple investieren. Aber jetzt investiere ich nicht in Aktien. Es ist nicht so, als wüsste ich nicht, wie man spekuliert. Ich werde nur schnell süchtig nach allen möglichen Dingen. Ich möchte nicht, dass sich mein Leben darum dreht. Im Musikgeschäft bekommen wir kein monatliches Gehalt, sondern Tantiemen. Die große Kunst ist herauszufinden, wie man das Geld am besten einteilt und in was man es investiert.

Aber noch mal zurück zur Pizza: Wie kam die Kooperation zustande?

Dem ehemaligen Keyboarder von HIM gehört eine Restaurantkette. Wir sind Freunde und haben schon immer gesagt, dass wir mal gemeinsam vegane Pizza machen sollten. Jetzt ist es so weit. Er ist die Sorte Mensch, die auf Worte Taten folgen lässt. Seine Energie und Jugendlichkeit faszinieren mich.

Welchen Anteil hatten Sie an dem Projekt?

Ich habe die Verpackung designt. Ich fand die Idee cool, dass die Pizzabox aussieht wie ein Ouija-Brett. Sie ist aber noch nicht final. Momentan ist in der Mitte vom Ouija-Brett eine Katze zu sehen. Die Katze ist das Symbol der Pizzeria. Auf der nächsten Version sollen auch Schweine drauf sein. Das ist ungewöhnlich für eine vegane Pizza. Ich habe bereits einige Hundert Schweine mit meinem Symbol, dem Heartagram, designt.

Welcher Aspekt macht Ihnen an der Kooperation am meisten Spaß?

Dass das Projekt ein Freundschaftsding ist. Von der Idee bis zur Umsetzung haben wir nur eine Woche gebraucht. Die Arbeit an einem Album mit zwölf Songs kostet mich sonst mehrere Jahre. Es ist großartig, mal an einer Sache so schnell gearbeitet zu haben.

Haben Sie schon mal ein anderes, ein ähnliches Projekt gemacht?

Ich mache solche Sachen nicht viel, weil ich mich selbst nicht als Produkt sehe. Ich trage meinen Namen und muss aufpassen, was ich tue. Man kann nicht endlos viel Merch oder Ähnliches machen. Ich habe aber mal in Finnland in einer Werbung für eine Kaffeemarke mitgespielt. Das war kurz vor der Pandemie und ziemlich erfolgreich. Eine traditionelle Kaffeemarke und ein Rockmusiker sind zwei verschiedene Sachen, die man nicht sofort miteinander verbinden würde. Es ist etwas Unerwartbares. So bleibt man interessant.

Der Titel des Soloalbums ist „Neon Noir“. Was soll er aussagen?

Es ist von einem Musiker ein bisschen frech, sein erstes Soloalbum „Das neue Schwarz“ zu nennen. Deswegen habe ich es gemacht. Ich mag die Idee von einer leuchtenden Dunkelheit. Ich bin großer Depeche-Mode-Fan. Mein Titel ist nicht weit von ihrem Albumtitel „Black Celebration” entfernt. Beides ist eine traurige Disco des Herzens.

Was ist für Sie der Reiz an einem reinen Soloprojekt?

Musik ist der Schutzwall zwischen mir und der Welt. Ich bin jetzt 46 Jahre alt. Deshalb ist nun an der Zeit, Dinge alleine zu tun. Die Pandemie hat mich in diese Position gebracht. Es war nicht die Zeit, um mich mit Leuten zu treffen und eine neue Band zu gründen.

Worin besteht der größte Unterschied zwischen der Zeit als Bandmitglied und der als Solokünstler?

Ich war schon immer am Songwriting beteiligt. Das war intensiv. Ohne die anderen Jungs war es jetzt einsam. Dafür hat mich niemand zu keiner Zeit abgehalten. Ich konnte Melodien und Texte ganz nach meinem Willen schreiben. Ich finde es gut, dass ich keine demokratischen Entscheidungen mehr treffen muss. Nach so vielen Jahren konnte ich durch die Arbeit am Soloalbum Musik aus einer anderen Perspektive kennenlernen.

Wie sieht diese neue Perspektive aus?

Ich habe mich nur von meiner Kreativität treiben lassen. Am Ende des Tages besteht die wichtigste Lektion darin, nicht darüber nachzudenken, was zu tun ist. Ich bin schnell in meinem Gedankenprozess gefangen. Ich verbringe lächerlich viel Zeit damit, zu spekulieren, was ich musikalisch alles tun könnte.

„Heute weiß ich, dass meine Kreativität aus mir selbst kommt und nicht aus einem Glas Rotwein“

Ville Valo

Wie konkret sieht denn der Schaffensprozess aus?

Als ich früher eine Idee für einen Song hatte, habe ich sie als Sprachmemo auf dem iPhone aufgenommen. Bei dem neuen Album war das anders. Ich wollte nicht zu viele Demoversionen und lose Skizzen von Songs haben. Hatte ich eine Idee für einen Song, fing ich sofort an, an der gesamten Produktion zu arbeiten. Das war für mich etwas Neues und eine Herausforderung.

Inwiefern?

Ich habe zum ersten Mal wirklich alles alleine aufgenommen. Das hat sehr viel Mühe und Zeit gekostet. Aber es war auch sehr meditativ. Ich fühlte mich dadurch mehr mit der Musik verbunden und konnte nonverbal mit ihr kommunizieren.

Wie kann man sich das vorstellen?

Wenn du Musik machst, ist es so, als würdest du einen Samen pflanzen, der schnell wächst. Du musst immer wieder Äste abschneiden, damit die Pflanze besser wachsen kann. Das ist eine schlechte Analogie, ich weiß. Aber bei mir ist es so. Meine Arbeit ist wie Tagträumen. Ich springe von einem Gedanken zum anderen und schaue, in welche Stimmung sie mich bringen. Die versuche ich dann in etwas Greifbares zu verwandeln, das man sich anhören kann. Wenn das x-mal passiert, dann habe ich einen Song.

Der Großteil der Entstehung der Songs findet vorab im Kopf statt?

Im Grunde spiele ich Akustikgitarre, bis ich etwas finde, das aber nicht funktioniert. Es ist nicht so, dass ich aufwache und eine Gitarre in die Hand nehme und denke, dass ich jetzt etwas machen muss. Es ist vielmehr ein halb unterschwelliger Denkprozess, durch den Ideen verdichtet und zu Einzeilern, Melodien oder Stimmungen werden.

Gibt es Rituale beim Schreiben?

Es gibt für mich keine bestimmte Methode, die man in langweiligen Begriffen ausdrücken kann. Ich arbeite viel in der Badewanne. Als ich jünger war, dachte ich, man braucht ein Ritual, etwa ein Glas Wein oder einen besonderen Ort. Heute weiß ich, dass meine Kreativität aus mir selbst kommt und nicht aus einem Glas Rotwein.

Da ist das Ding! Neben unserer Watchlist findet ihr noch diese Themen: Wie die Chief People Officer der Avantgarde Group, Lesley Anne Bleakney, den Bereich Human Resources neu denkt, wie das Vorreiterland Südkorea das Metaverse für sich entdeckt hat, was die Comedy-Impro-Serie „Die Discounter“ so erfolgreich macht und warum Rocker Ville Valo jetzt Pizza verkauft. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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