Productivity & New Work Wir wurden vom Kapitalismus geprankt und QuitTok ist die Antwort darauf

Wir wurden vom Kapitalismus geprankt und QuitTok ist die Antwort darauf

Von Verena Bogner

Like, wer’s kennt: „Wenn deine Kollegin dich 24 Sekunden vor Arbeitsende um etwas bittet, das innerhalb deiner Job-Description liegt“: So lautet der Text zu einem Tiktok-Video der Creator Laura Whaley (@loewhaley), unterlegt mit einem beliebten Sound, in dem eine Männerstimme die Frage stellt: „Excuse me, what the actual f-?“

Whaley ist eine von zahlreichen Tiktoker:innen, die sich mit dem ach so harten Alltag von uns Corporate Millennials beschäftigen, also denjenigen unter uns, die ihr Arbeitsleben am Schreibtisch fristen (dürfen). Im Jahr 2020 begann Whaley mit ihren Clips, in denen sie sich über Corporate Culture lustig macht, und reiht sich dabei neben Content-Größen wie Rod (@rod) ein, der durch seine von Anxiety getriebenen Tiktoks als das Meme-Sprachrohr der arbeitsverdrossenen Millennials berühmt wurde. Rods Erfolg beweist vor allem eines: Wir Digital Natives sind die Besten darin, unsere kollektiven Traumata mithilfe von Sarkasmus und performativem Nihilismus zu verarbeiten. So auch unsere Jobängste. 

In Wahrheit ist doch alles pointless – unser ganzes Leben und unsere Corporate Culture erst recht: Dieser doch etwas makabre Gedanke scheint das Einzige zu sein, was uns Millennials in this economy noch Trost spendet. 

Wir wurden zu einer Zeit in die Arbeitswelt geworfen, in der Hustle-Culture ganz groß geschrieben wurde, das Heilsversprechen von Erfolg durch harte Arbeit war der Anreiz, der uns bei der Stange hielt, wenn unsere Chef:innen mal wieder gottlose Anforderungen an uns stellte. Mittlerweile mussten jedoch viele von uns feststellen, dass wir vom Kapitalismus geprankt wurden – und darauf reagieren wir eben mit pessimistisch-realistischen Memes. Kein Wunder: Für uns geht es nicht wie für unsere Eltern um die Frage, ob wir noch dieses oder doch lieber nächstes Jahr ins Einfamilienhaus investieren, sondern darum, irgendwie durch diese ganzen gottverdammten Finanz-, Gesundheits- und Energiekrisen zu kommen, ohne endgültig aufzugeben und in unseren überteuerten und ungeheizten Mietwohnungen auf den Weltuntergang zu warten.

Schallend über das – diplomatisch ausgedrückt – fehlerhafte System zu lachen, in dem wir selbst gefangen sind und das wir insgeheim ablehnen, scheint der einzige Weg, um unsere ohnehin angeknackste Sanity aufrechtzuerhalten. Wieder mal Überstunden geschoben, in der Arbeit heimlich geheult und bei der Gehaltsverhandlung abgeblitzt? LOL! Was für ein Brüller. Der Hype rund um #QuitTok ist der Beweis dafür, dass wir aktuell nicht mehr an allzu vieles glauben – außer an den Humor unserer Corporate-Leidensgenossinnen oder -genossen. 

An dieser Stelle zu erwähnen, dass Memes in den letzten Jahren zu einem essenziellen Kommunikationsmittel geworden sind, würden nur Boomer:innen wagen. Memes können aber auch politische Subversion sein. Scrolle ich durch meine verschiedenen Social-Feeds, wird schnell klar, was das bedeutet: feministische Memes oder Tiktoks, in denen sich Frauen über Sexismus lustig machen, Memes zu aktuellen politischen Ereignissen (vor allem in der Bananenrepublik Österreich ein unerschöpflicher Quell absoluter Schenkelklopfer) oder eben Memes über unsere ausbeuterische, individualistische Arbeitskultur, in der wir dazu angehalten werden, jeden Aspekt unseres kapitalistisch verwertbaren Daseins bis zum Äußersten zu optimieren. 

Apropos individualistisch: Das ist meiner Meinung nach das Schönste an #QuitTok. Wäre ich kein pessimistischer Millennial, würde ich an dieser Stelle das Wort „Hoffnungsschimmer“ benutzen. Es hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir arbeiten, zu ändern. Probleme, von denen wir dachten, sie lägen an uns, wirken plötzlich wie das Systemversagen, das sie in Wahrheit sind. So ist der Begriff „Quiet Quitting“ auf Tiktok ins Leben gerufen worden. Das Phänomen beschreibt die Tatsache, dass immer mehr Arbeitnehmer:innen beschließen, unbezahlte Zusatztasks nicht länger hinzunehmen, und quasi nur noch Dienst nach Vorschrift leisten – ohne diesen ganzen Blödsinn von der Extrameile. 

Das weiß auch Laura Whaley, die in einem ihrer Clips erklärt, dass sie nicht mehr länger im Büro sitzen will, als vertraglich geregelt ist: „Ich bin nicht die langfristige Lösung dafür, dass das Unternehmen seine Ressourcen nicht angemessen plant.“ Word.

Da ist das Ding! Dieses Mal dreht sich in unserem Dossier alles um das Thema Immobilien und den Traum vom Eigenheim. Außerdem haben wir Netflix-Showrunnerin Anna Winger getroffen und die Brüder Ahmed und Mike Chaer, die deutsches Wrestling groß machen wollen. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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