Innovation & Future Dieses Startup hat die passende Medizin gegen das Apotheken-Sterben

Dieses Startup hat die passende Medizin gegen das Apotheken-Sterben

Alle 27 Stunden: So oft macht laut Apothekergenossenschaft in Deutschland eine Apotheke für immer den Laden dicht. Erst kürzlich wurde veröffentlicht, dass es hier 2022 den größten jährlichen Verlust an Apotheken gab.

Heute kämen hierzulande auf 100.000 Einwohner:innen nur noch 22 Apotheken. Der Durchschnitt in Europa liege hingegen bei 32. „Das Personal kann den Aufwand nicht mehr stemmen“, sagt Nikolai Alemi. „Die Apotheken sind überlastet. Viele geben auf.“

Alemi ist selbst Apotheker, führt gemeinsam mit seinem Vater drei Filialen im Münchener Westen. Sein Ziel: Nicht nur die eigenen Geschäfte vor dem Schließen bewahren, sondern gleich einen ganzen Haufen Apotheken deutschlandweit.

Es begann mit einer Impfkarte

Dafür gründete er gemeinsam mit Julius Rachor, Sven Wildermann und Dominic Haul das Startup Sanvivo. Alles begann mit einer Impfkarte 2021, mitten in der Pandemie, als die Apotheken die Aufgabe hatten, Impfzertifikate auszustellen.

Alemi und seine Mitgründer entwickelten einen Impfnachweis per Karte, die in jeden Geldbeutel passen sollte. Die Alternative zum großen, gelben Pass und dem QR-Code auf dem Smartphone.

Finanziert hat Sanvivo sein erstes Produkt durch Bootstrapping, als Side-Business. „Nikolai und Dominic waren jeden Tag vor Ort, haben den Apotheken über die Schulter geschaut. Sven und ich haben nachts den ganzen Kram programmiert“, sagt Julius Rachor. Ergebnis: Ihre Impfkarte war dann in über 900 Apotheken in ganz Deutschland erhältlich.

Auf dem Erfolg dieser ersten Idee bauten die vier Gründer den nächsten Schritt auf – und der sollte noch größer sein. „Unsere Vision ist es, die vorhandenen Strukturen in den Apotheken digital zu verknüpfen“, sagt Rachor. „Wir wollen das Betriebssystem für die digital vernetzte Apotheke sein.“

Und das mit einer App, die den Namen „Vivoly“ trägt. Diese App können Apotheken in ihr System integrieren; Patient:innen können darüber ihre Medikamente bestellen und liefern lassen.

Alemi führt Studien an, nach denen in Deutschland 45 bis 60 Prozent der Kund:innen nach der Einführung des E-Rezepts diese online einlösen werden. Gut für die große Onlineapotheke, schlecht für den kleinen Laden. „Darauf ist man nicht vorbereitet. Wir brauchen die passenden Prozesse“, sagt er.

Ein Abomodell für Apotheken

Eine Software wie Vivoly, für die Apotheken wie im Abomodell monatlich Geld zahlen. Das Ganze läuft so ab: Die lokale Apotheke integriert sie in ihr schon bestehendes System. Vivoly zeigt der Apotheke dann eine Übersicht mit allen Bestellungen der Kund:innen. Mit denen kann die Apotheke per Chat in Kontakt treten.

„Es ist so einfach, wie eine E-Mail zu öffnen. Und die Chatfunktion funktioniert wie bei Whatsapp“, sagt Alemi. „Wir haben aus der Impfkarte gelernt, dass es in der Apotheke nur funktioniert, wenn es ohne Schulung möglich ist“, sagt Rachor.

Ebenso unkompliziert soll es für die Patient:innen zu Hause sein. Die App funktioniert kostenlos wie viele andere Apps im E-Commerce auch. Angeben muss man für die Suche nach Produkten lediglich die eigene Postleitzahl. Hat man seine Produkte ausgewählt, wird im Check-out angezeigt, in welcher lokalen Apotheke diese verfügbar sind und in welchem Zeitraum geliefert werden kann.

Die Lieferung übernimmt jede Apotheke selbst. „Apotheken in Deutschland liefern täglich bereits 300.000-mal“, sagt Rachor. Auch wenn es überraschen mag, Apotheken seien in diesem Bereich ohnehin gut aufgestellt, sagt Alemi. Und hat eine Filiale doch keinen eigenen Lieferdienst, könne Sanvivo Bot:innen organisieren.

Mittlerweile ist auch der legendäre Accelerator Y Combinator aus dem Silicon Valley eingestiegen, damit bekommt das Wirken sicherlich eine andere Wucht. „Wir fokussieren uns gerade auf die Expansion in Deutschland, aber der Angriff auf den nächsten Markt ist schon in Planung“, sagt Rachor.

Und da kann man in Europa aus dem Vollen schöpfen: „Wir können in jedem Markt funktionieren, in dem die Apotheken inhabergeführt sind.“

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 03/23. Dieses Mal dreht sich in unserem Dossier alles um das Thema Danach. Wie geht es nach einem Fuck-Up oder Wendepunkt im Leben weiter? Außerdem haben wir mit Nationaltorhüterin Merle Frohms gesprochen und die Seriengründerin Marina Zubrod erzählt alles über ihre Hassliebe zum Unternehmertum. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

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