Life & Style Wie ein Tweet zu einem Strafbefehl führt

Wie ein Tweet zu einem Strafbefehl führt

Ein vorverurteilter Ex-SPD-Abgeordneter zeigt auf „X“ Verständnis für die russische Annexion der Krim. Jetzt ist er dafür verurteilt worden. Was darf hierzulande gesagt und geschrieben werden und was nicht?

Jörg Tauss Karriere ist nicht eine, die darauf schließen lässt, dass hier ein unentdeckter politischer Hoffnungsträger am Werk ist. Und seine Haltung ist auch keine, die irgendjemand teilen muss. Aber das ist für diese Geschichte egal, denn der 69-jährige ehemalige Bundestagsabgeordnete der SPD hat jetzt einen Strafbefehl des Amtsgerichts Bruchsal erhalten, der in der hitzigen Debatte, die zwischen Links und Rechts auf Deutschlands Straßen ausgetragen wird, ein interessantes Puzzlestück ist.

Der Fall geht so: Das Amtsgericht hat Tauss bereits im November einen Strafbefehl wegen „Billigung von Straftaten“ zugestellt. Die Staatsanwaltschaft legt ihm folgendes zu Last: Als Reaktion auf einen kritischen Tweet habe Tauss über sein Profil auf „X“ diesen Kommentar zum Verhalten Russlands gegenüber der Ukraine veröffentlicht: „Schon auf der #russischen Krim lief das damals korrekt ab. #Servicetweet“.“

Wörtlich heißt es im Strafbefehl: „Dieser Beitrag war, wie Sie wussten, für alle Nutzer des Sozialen Netzwerks ‚X‘ einsehbar. Wie von Ihnen mindestens billigend in Kauf genommen hießen Sie durch diesen Beitrag in einer Weise, die geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören, die völkerrechtswidrige und unter Einsatz von Waffengewalt erzwungene Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und die dort durchgeführten Scheinwahlen gut.

Sie werden daher beschuldigt, eine in § 138 Absatz 1 Nummer 5 genannte rechtswidrige Tat, namentlich ein Verbrechen der Aggression im Sinne des § 13 Absatz 1 VStGB, in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich und durch Verbreiten eines Inhalts gebilligt zu haben, strafbar als Billigung von Straftaten gemäß 140 Nr. 2 StGB. (…) Gegen Sie wird eine Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen verhängt.“

Nun ist Volker Tauss ein umstrittener Zeitgenosse. Wikipedia gibt über ihn folgende Auskunft: Er war von 1994 bis 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags, wo er für die SPD die Abgeordnetenbank drückte und für Bildung und Forschung zuständig war, anschließend wechselte er für ein Jahr zur Piratenpartei. Die politische Karriere gab er auf, nachdem er wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung verurteilt wurde.

Tauss ist Vorsitzender der West-Ost-Gesellschaft in Baden-Württemberg e. V., die auf der Website russlandbruecke.devor allem Kreml-nahe Meinungen verbreitet. In dieser Funktion schrieb er zum neuen Jahr an die Mitglieder: „Leider tobt noch immer der Krieg in der Ukraine. Um es klar zu sagen: Wir haben die russische Aggression verurteilt. Allerdings übersehen wir nicht, dass der Konflikt seine Ursachen im Putsch von 2014 hat und vom Westen eskaliert wurde. Eine Friedenslösung ist nicht in Sicht. Das Anheizen mit immer mehr Waffenlieferungen ist kein Beitrag zu einer Lösung. Mit Bestürzung sehen wir, dass auch die deutsche Bundesregierung nicht an einer diplomatischen Lösung arbeitet. Auch gesellschaftlich ist der Dialog verhärtet.“

Tatsache ist: Niemand muss diese Meinung teilen. Aber es ist eine, die beispielsweise in der neu gegründeten Wagenknecht-Partei durchaus ihre Anhänger finden dürfte. Die Politikerin selbst hatte 2014 beim Überfall Russlands auf die Krim zwar mehrfach Kritik am russischen Präsidenten Wladimir Putin geäußert, zugleich aber deutlich gemacht, dass sie eine Krim-Annexion nach einem umstrittenen Referendum dort für akzeptabel hält. Das russische Vorgehen bezeichnete sie damals als „Reaktion auf eine Fehlentwicklung“. In der Ukraine sei damals keine Regierung der nationalen Einheit an der Macht gewesen, diese provoziere „Spaltung und Zerfall, da ist die Krim vielleicht nur der Anfang“. Wagenknecht behielt auf eine Weise recht, die sie selbst nicht vorhersehen konnte.

Dass Tauss nun wegen einer ähnlichen Haltung verurteilt wird, ist ein Zeichen für eine zunehmend hysterische Stimmung hierzulande, der sich auch die Justiz nicht mehr entziehen kann. Der Richter aus Bruchsal trägt dazu bei, eine politische Meinung zu kriminalisieren. Die Justiz verengt damit die Diskussionsräume, anstatt sie zu schützen. Der Strafbefehl gegen den unliebsamen Herrn Tauss ist damit kein Beispiel dafür, dass sich die Demokratie wehrt, sondern eines dafür, dass sie nicht mehr richtig funktioniert.

Jörg Tauss hat Widerspruch gegen den Strafbefehl eingelegt.

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