Life & Style Zum Tod von Franz Beckenbauer: Der Gefühle-Lieferant

Zum Tod von Franz Beckenbauer: Der Gefühle-Lieferant

Je höher der Druck war, desto lässiger spielte Franz Beckenbauer. Je lauter die gegnerischen Fans pfiffen, umso breiter wurde sein Grinsen. Je größer die Herausforderung, desto willensstärker ging er die Sache an. „Was erlauben Struuuuntz?“, ätzte einst Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni. Beckenbauer war damals übrigens Präsident des Rekordmeisters. „Was erlauben Franz?“ ist die Frage, die von ihm bleiben wird. Dieser geniale und durchsetzungsstarke Mensch bekam es allem Anschein nach nicht hin, die Grenzen des moralisch Tragbaren zu erkennen, teilweise auch des Erlaubten. Aus willensstark wurde unverfroren, diese Tragik hat er nicht exklusiv. Warum er sich jahrzehntelang alles erlauben konnte: auf dem Platz, als Trainer, als Präsident und auch als Funktionär? Weil er Erfolg hatte. 

Was sagt das es über uns aus, dass wir ihm all das durchgehen ließen? Weil Beckenbauer uns eben viel mehr gebracht hat als Pokale: zwei Weltmeistertitel – als Spieler und als Trainer. Ja, das waren große Momente. Aber es gipfelte in der Weltmeisterschaft 2006. K was war das für ein Fest für Deutschland, dass er uns da beschert hat! Beckenbauer bescherte uns in all den Jahren vermutlich mehr Emotionen als jeder andere Deutsche. Kurz vor dem großen Turnier, dass er uns Deutschen brachte, habe ich Franz Beckenbauer zum Interview persönlich getroffen. Bis heute ärgere ich mich über meine langweiligen Fragen. 

Nun, nach seinem Tod, muss Deutschland mit allen Facetten einer seiner größten Legenden leben – den Hellen wie den Dunklen. Wir versuchen, sie gegeneinander abzuwägen. Die junge Generation ist solcherlei kaum noch gewohnt. Für sie gibt es keine Vorbilder mehr. Sie leben in einer Welt, wo jede halbwegs erfolgreiche Figur zeitnah von der dauer-moralisierenden Medien- und Social-Media-Öffentlichkeit zersägt wird. Wo jeder Kleinkram zum Skandal, jede Aussage auf die Goldwaage gelegt wird.

Wie gut, dass ich als Kind weder Social Media kannte noch die unerfüllbare Sehnsucht der Menschen nach moralischer Einwandfreiheit. Für mich ist Franz Beckenbauer das perfekte Vorbild: Er nutzte sein Talent, er war fleißig, willensstark, ehrgeizig, kreativ, lösungsorientiert. Aber ein Vorbild kann man auch durch sein Scheitern sein: Er fand kein Maß und glaubte, dass Erfolg ein Freifahrtschein ist. Er kannte kein Genug, weder privat noch im Beruf. So lernte ich viel vom „Kaiser“ und ich erinnere mich gern an all die schönen Momente, die er uns gebracht hat. 

Am Sonntag ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren gestorben.

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