Productivity & New Work „Recharge Days“: Berliner Startup schenkt Team 26 zusätzliche Urlaubstage

„Recharge Days“: Berliner Startup schenkt Team 26 zusätzliche Urlaubstage

In vielen Ländern wird die Vier-Tage-Woche getestet, zuletzt kündigte Großbritannien an, das Modell zu testen. Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten, den Mitarbeitenden eine bessere Work-Life-Balance zu bieten. Das Berliner Technologie-Startup CrossEngage schenkt seinem Team 26 zusätzliche Urlaubstage.

Markus Wübben, Co-Founder und CMO von CrossEngage erzählt im Interview, was es mit den „Recharge Days“ auf sich hat, wie das Team die Tage nutzt und wie das Startup es schafft, das Modell umzusetzen.

Markus, du hast bei CrossEngage die „Recharge Days“ eingeführt. Was ist das?

Wir bei CrossEngage wollen unsere Mitarbeitenden dazu befähigen, leistungsstarke und sinnvolle Arbeit zu leisten und gleichzeitig eine Balance zwischen Arbeits- und Privatleben aufrecht zu erhalten. Um das zu gewährleisten, haben wir die „Recharge Days” eingeführt. Heißt konkret: Jeden zweiten Freitag haben alle frei. Letztlich sind das also 26 zusätzliche Urlaubstage – geschenkt und bei gleich bleibendem Gehalt. Wie die Mitarbeitenden die „Recharge Days” nutzen, ob mit Freizeit, Weiterbildung oder etwas ganz anderem, ist komplett ihnen überlassen. 

Weißt du, wie die einzelnen Mitarbeitenden im Team den Tag nutzen?

Im Detail weiß ich das nicht – und das müssen und wollen wir in der Geschäftsführung auch gar nicht wissen. Denn im Kern geht es uns bei dieser Maßnahme um die Durchsetzung von zwei Eckpfeilern unserer Unternehmensphilosophie: Freiheit und Autonomie. Wir sind davon überzeugt, dass Freiheit und Autonomie von größter Bedeutung sind, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeits- und Privatleben herzustellen und so letzten Endes auch ein gutes Arbeiten zu ermöglichen. 

Wieso jeden zweiten Freitag und nicht nach Eigenbedarf?

Wir wollen sicherstellen, dass die Organisation als Ganzes weiterhin funktioniert und das Team insgesamt in einen guten Rhythmus kommt. Deshalb haben wir uns auf einen fixen Tag, den Freitag, geeinigt. Für den anderen Freitag gilt zudem: meetingfrei. Auf diese Weise möchten wir sicherstellen, dass Besprechungen immer von Montag bis Donnerstag stattfinden, sodass am freien Freitag keine Besprechungen verpasst werden. In besonderen Fällen, wenn jemand beispielsweise bei einem mehrtägigen Freiwilligenprojekt mithilft oder eine Konferenz besucht, ist es möglich, den „Recharge Day” auch an einem anderen Tag zu nehmen.

Wieso hast du dich für diese Maßnahme entschieden?

Vor einiger Zeit hatte ich mir Gedanken darüber gemacht, wie man die Produktivität im Unternehmen messen und gegebenenfalls erhöhen kann. Als ich mich dann eines Tages mit einem Kollegen in der Küche unterhielt, ist der Groschen gefallen. Meine Erkenntnis: Produktivitätssteigerung lässt sich nicht über Prozessoptimierungen oder über die maximale Ausnutzung der physischen Arbeitskraft erzielen.

Dieses Denkmuster ist komplett veraltet. Ein guter Programmierer oder eine gute Programmiererin ist, wer die besten Code-Zeilen schreibt, nicht die meisten. Ein guter Sales-Mitarbeiter oder eine gute Sales-Mitarbeiterin ist, wer die besten Verkäufe abschließt, nicht wer die meisten Anrufe tätigt. Wir arbeiten bei CrossEngage in einer sehr kreativen Branche – deshalb muss man frisch und ausgeruht im Kopf sein, um gute Leistungen zu erzielen. Die „Recharge Days” sind ein Resultat genau dieser Überlegung.

Merkst du schon Veränderungen dadurch im Team?

Erst einmal: Die Einführung der „Recharge Days” wurde im kompletten Team sehr begrüßt. Klar: Wer will nicht 26 zusätzliche Urlaubstage im Jahr haben? Für wirklich stichfeste Erkenntnisse ist es zwar noch ein wenig zu früh – die Maßnahme ist ja erst vor ein paar Wochen in Kraft getreten – aber man kann schon beobachten, dass die Mitarbeitenden noch ausgeglichener und motivierter bei der Arbeit sind. Das macht schon was mit einem, wenn man jeden zweiten Tag ein verlängertes Wochenende genießen darf. Ende Juni, also nach einem halben Jahr, werden wir ein größeres Fazit ziehen und entscheiden, ob wir mit den „Recharge Days” weitermachen – und wenn ja, an welchen Stellschrauben wir noch drehen müssen.

26 zusätzliche Urlaubstage bei gleichbleibendem Gehalt – wie geht das?

Ganz simpel: Indem man es einfach macht. Alle Mitarbeitenden bekommen das gleiche Gehalt wie vor der Einführung der „Recharge Days” – ausnahmslos. Für die Mitarbeitenden, die in Teilzeit beschäftigt sind, berechnen wir eine neue Teilzeitquote auf Basis von 90 Prozent statt 100 Prozent Arbeitszeit. Wenn also jemand derzeit in Teilzeit arbeitet, erhöht sich für diese Person entweder das Gehalt oder sie kann ihr aktuelles Gehalt behalten und sich entscheiden, weniger Stunden zu arbeiten.

Wie reagieren Kund:innen darauf, dass ihr jeden zweiten Freitag nicht erreichbar seid?

Unsere Kund:innen begrüßen diesen Schritt, weil sie verstehen, dass unsere Mitarbeitenden dadurch letzten Endes noch bessere Arbeit leisten können – eben weil sie erholter und ausgeruhter sind. Außerdem versuchen wir natürlich sicherzustellen, dass vor allem den Teams, die vergleichsweise viel Kundenkontakt haben – beispielsweise im Sales – durch die „Recharge Days” keine Nachteile entstehen.

Es kann deshalb in diesen Teams sinnvoll sein, wenn nicht alle Mitarbeitenden am gleichen Freitag fehlen, sondern das ganze aufgeteilt wird: Die eine Hälfte des Teams an diesem Freitag und die andere Hälfte nächste Woche. Wir sind derzeit noch am Anfang dieser Maßnahme, sammeln erst einmal Erfahrungswerte und werden das System stetig weiterentwickeln.

Warum sollten andere Unternehmen nachziehen?

Aus zwei Gründen: Zum einen sollten alle Arbeitgeber:innen ein intrinsisches Interesse daran haben, seinen Mitarbeitenden so viel Erholung und Regeneration wie möglich zu bieten. Mit den „Recharge Days” möchten wir unserem Team noch mehr Zeit zur freien Verfügung stellen, damit sie ihrer Arbeit mit noch mehr Energie nachgehen können – und andere Firmen sollten das auch tun.

Zum zweiten ist diese Maßnahme sinnvoll, um im Wettstreit um die besten Talente ein gutes Argument auf seiner Seite zu haben. Die Nachfrage nach Tech- und Marketing-Expert:innen, wie wir und viele andere Firmen sie auch benötigen, ist hoch – und die Gehälter ebenfalls. Wer hier neben dem Geld noch ein weiteres Incentive bieten kann, ist klar im Vorteil.

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