Innovation & Future Wie ChatGPT den Journalismus beeinflusst – und wie wir als Lesende dazu beitragen

Wie ChatGPT den Journalismus beeinflusst – und wie wir als Lesende dazu beitragen

Ein Gastbeitrag von Benjamin Mateev, CEO und Co-Gründer der News-Plattform Informed

Wer es bis zu diesem Tag geschafft hat, am Buzzword „ChatGPT“ vorbeizukommen, war wahrscheinlich eine längere Zeit off-grid. Das Thema beherrscht die Medienlandschaft und wird in vielen Büros, Freundeskreisen und Familien diskutiert. Warum?

ChatGPT ist die am schnellsten wachsende App aller Zeiten: 100 Millionen Nutzende nach nur zwei Monaten. Zum Vergleich: Die bisherige „Hype-App“ TikTok benötigte dafür neun Monate, Instagram sogar zweieinhalb Jahre. Klar ist, wir sind mittendrin in einer technischen Revolution. Technikbegeisterte träumen von einer nahen Zukunft, in der jeder Mensch wie im Film „Her“ von einem Computerprogramm unterstützt wird, das von einem menschlichen Assistenten kaum zu unterscheiden ist.

Anderen macht die Entwicklung Angst, weil sie sich um ihre Jobs sorgen. Im Gegensatz zur industriellen Revolution sind dieses Mal vor allem „White Collar“-Jobs betroffen. Fragt man ChatGPT, welche Berufsbilder sich durch den Einsatz der Technologie am meisten verändern werden, sind das: „Kundenservice, technischer Support, Journalismus, Schreiben von Marketing- oder Verkaufskopien, Erstellung von Inhalten für Websites und soziale Medien, Erstellung von Untertiteln und viele mehr“. 

Insbesondere was den Journalismus angeht, sind wir schon mittendrin im Umbau des Geschäftsfeldes. Ende Januar kündigte die Unterhaltungsseite Buzzfeed an, künftig verstärkt auf künstliche Intelligenz zu setzen, um Content zu kreieren und die Redaktion bei der Themenfindung zu unterstützen. Dieser Nachricht ging die Entlassung von 12 Prozent der Mitarbeitenden voraus. Ende Februar legte das deutsche Medienunternehmen Axel Springer mit ähnlichen Nachrichten nach, kündigte Entlassungen an und prophezeite, dass KI den Journalismus revolutionieren werde. Was bedeutet das genau? 

Schreibt an dieser Stelle bald nur noch ein Bot?

Um diese Frage zu beantworten, ist es wichtig zu verstehen, was ChatGPT genau ist und auf welcher Technologie es basiert. Das, was wir gerade alle ausprobieren können, um Texte oder Hausarbeiten schneller zu schreiben oder um uns Fragen des Lebens beantworten zu lassen, ist ein Deep-Learning-Modell. Diese basieren auf einem in 2017 entwickelten Konzept von Google, das KI-Modelle mit natürlicher Sprache trainierte.

ChatGPT wurde nach diesem Prinzip mit dem Ziel entwickelt, eine Art persönlichen Chatbot zur Verfügung zu stellen, dem man Fragen stellen und den man um Antworten sowie Korrekturen bitten kann. Das ist OpenAI, dem Unternehmen, das hinter ChatGPT steckt, auch gelungen. Was auch immer man fragt, die Antwort ist in den meisten Fällen ein dazu passender, logisch aufgebauter und gut verständlicher Text, der durch weitere Interaktion noch vertieft werden kann. Kein Vergleich mehr zu Bots, die einer breiten Masse bisher aus dem Kundensupport bekannt sind und bisher keine Begeisterungsstürme, sondern eher Frustration oder gar Wutanfälle ausgelöst haben. 

Benjamin Mateev (Mitte), CEO und Co-Gründer der digitalen News-Plattform Informed. ©Informed

ChatGPT zu bedienen fühlt sich ganz anders an. Eher so, als würde man mit einem Kollegen oder einer Kollegin sprechen können, der immer Zeit hat und (fast) alles weiß. Diese Technologie wird jeden Bereich radikal verändern, in dem Sprache eingesetzt wird – sei es das Schreiben von Codes, wissenschaftlichen Arbeiten, Mails oder eben journalistischen Nachrichten. Bereits jetzt gibt es etliche Startups am Markt, die KI-getriebene Business Modelle entwickelt haben. Logisch, dass Medienunternehmen wie Buzzfeed ebenfalls davon profitieren möchten und KI in ihre redaktionellen Abläufe integrieren. Wer im Journalismus arbeitet, hat also einen neuen Kollegen: ChatGPT.

Ist der Einsatz von KI im Journalismus neu?

Die überraschende Antwort lautet: Nein. Schon länger wird KI – zumindest bei einigen Playern der Branche – genutzt, um Newsticker für Fußballereignisse oder andere verkürzte Nachrichten automatisiert zu generieren. Aber auch die Nutzung von KI für Zusammenfassungen von Artikeln oder zur Erstellung von sehr einfachen Artikeln ist nicht neu.

Kann es gut gehen, wenn KI auch für komplexere Artikel eingesetzt wird?

Einerseits ja, denn ChatGPT wurde auf Grundlage einer Unmenge an Texten, die im Internet verfügbar sind, trainiert. Es kann also aus dem Vollen schöpfen und ist im Vergleich zu dem, was ein Mensch an Recherche-Material zusammentragen und auswerten kann, in dieser Hinsicht unschlagbar. Aber das Faszinierendste ist, dass viele Antworten auf spezifische Fragestellungen mit einer weiterführenden Erklärung und Einordnung des Gesagten angereichert werden. Also ziemlich genau das, was Journalismus leistet.

Wo liegt also das Problem?

ChatGPT fehlt aktuell noch eines der wichtigsten journalistischen Merkmale: die Qualitätskontrolle. Es gibt unzählige Beispiele von Fake News und Falschaussagen, die bereits von der KI generiert worden sind. Das ist insbesondere bedenklich, weil diese auf den ersten Blick nur sehr schwer zu erkennen sind. Fake News, die ChatGPT generiert, klingen nicht blödsinnig, sondern genauso plausibel wie die Mehrzahl an belastbaren Fakten, die uns der Bot anbietet. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Informationen von ChatGPT überprüfen, in Redaktionen sowieso, aber natürlich auch auf der Seite der Nutzenden. Es ist essentiell, dass wir alle unsere Medienkompetenz im Umgang mit der neuen Technologie erweitern, um die Zahl an Desinformationen in der Welt nicht noch zu erhöhen.

Was sagt ChatGPT selbst dazu?

„Das Problem mit Fake News, die von ChatGPT oder anderen künstlichen Intelligenz-Systemen generiert werden, ist, dass sie oft sehr überzeugend wirken können und von vielen Menschen als wahr akzeptiert werden. Die Verbreitung von falschen Informationen kann dazu führen, dass Menschen falsche Entscheidungen treffen oder falsche Überzeugungen haben, was wiederum zu Schäden für Individuen, Organisationen und sogar Gesellschaften führen kann. Daher ist es wichtig, dass künstliche Intelligenz-Systeme wie ChatGPT mit geeigneten Maßnahmen zur Bekämpfung von Fehlinformationen und zur Gewährleistung der Integrität der Inhalte ausgestattet werden. Es ist auch wichtig, dass die Nutzer dieser Technologie sich der Möglichkeit von Fake News bewusst sind und lernen, wie man sie erkennt und vermeidet.“

Wir brauchen daher nicht weniger, sondern besseren Journalismus

Auf den zweiten Blick schafft also ChatGPT den Journalismus nicht ab. Im Gegenteil, in dieser Entwicklung liegt eine Chance, sich in Redaktionen wieder auf qualitativ hochwertige und ausgewogene Berichterstattung zu konzentrieren. Der Bot kann Inspirationen liefern, Listicles vorschlagen und Quizze generieren, während sich der menschliche Teil des Redaktionsteams in die investigative Recherche stürzen kann, auf Fakten und ausgewogene Berichterstattung achtet und humorvoll-nahbar die Geschehnisse unserer Zeit einordnet. Damit das passiert, braucht es natürlich auf der anderen Seite Lesende, die qualitativ hochwertigen Content schätzen und auch bezahlen möchten.

Vor Kurzem ist die neueste Version von GPT, GPT-4, erschienen. Die erweiterten Fähigkeiten der Software ermöglichen es sogar, Skizzen und Fotos zu analysieren und zu beschreiben, abfotografierte Aufgaben aus Büchern zu lösen und wissenschaftliche Arbeiten hochzuladen und zusammenzufassen. Es bleibt spannend zu beobachten, wie GPT-4 die Verhältnisse in den Redaktionen neu ordnen wird.

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