Tech & Trends TikTok-Taktik oder Trollerei? Charles Bahr und das @digitalministerium

TikTok-Taktik oder Trollerei? Charles Bahr und das @digitalministerium

In einer Welt, in der jede Behörde mindestens einen Social-Media-Account braucht, war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der erste clevere Unternehmer schneller war als die Bürokratie.
Charles Bahr, 23 Jahre jung, vielfacher Gründer, Gen-Z-Experte und Selbstdarsteller par excellence, hat sich den TikTok-Handle @digitalministerium gesichert – noch bevor das geplante Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung überhaupt seine Türen geöffnet hat
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Bahr inszeniert den Coup als „digitales Willkommensgeschenk“ für den künftigen Minister Karsten Wildberger: Man habe den Account nur reserviert, um Trolle fernzuhalten und Kommunikation auf Augenhöhe mit der Gen Z zu ermöglichen.
Das klingt natürlich nach bürgerlichem Pflichtbewusstsein, fast wie ein ehrenamtlicher Akt im Dienste der öffentlichen Sache. Aber wer Charles Bahr kennt – und seinen durchaus ausgeprägten Sinn für PR – ahnt schnell: Hier geht es mindestens genauso sehr um Sichtbarkeit. Und vielleicht auch um Aufträge.

Denn Bahr ist längst Profi darin, sich selbst in Szene zu setzen: Mit 14 gründete er seine erste Agentur Tubeconnect Media, mit 19 die Beratung Project Z, später die Managementberatung ZCG – allesamt darauf spezialisiert, Unternehmen das Mysterium „Generation Z“ zu erklären.

@digitalministerium Und genau deshalb mussten wir schnell sein. #digitalisierung #ministerium #merz ♬ Originalton – Digitalministerium

Die aktuelle Aktion passt perfekt ins Bild: ein kleiner, PR-tauglicher Scoop, rechtzeitig zur Gründung eines symbolträchtigen Ministeriums. Dass das neue Ministerium den TikTok-Account tatsächlich übernehmen wird, steht noch in den Sternen – offiziell aufgenommen hat es seine Arbeit nämlich noch gar nicht.
Doch schon jetzt kündigt Bahr an, den Kanal zunächst eigenständig mit Content zu bespielen: Erklärvideos, Bildungsformate, ein bisschen Edutainment.
Eine noble Geste oder ein geschickt eingefädelter erster Pitch?

Es erinnert stark an vergangene Aktionen Bahrs – etwa seine inszenierte Airport-Szene mit einem Pappaufsteller von Lufthansa-CEO Carsten Spohr. Immer charmant, immer wohl kalkuliert.

Man muss es Charles Bahr lassen: Er versteht sein Geschäft. Und er versteht, wie Medien funktionieren.
Doch genau darin liegt auch die Krux. In einer Zeit, in der Vertrauen und Authentizität die neue Währung im digitalen Raum sind, wirkt Bahrs Methode stellenweise wie ein Revival der 2000er-Jahre-Guerilla-Marketing-Szene – durchchoreografiert, kalkuliert, ein bisschen zu glatt.
Man fragt sich: Braucht ein Ministerium, das Vertrauen aufbauen will, wirklich einen Einstieg über einen privat „geschenkten“ TikTok-Account?

Vielleicht wäre ein behutsamerer, institutioneller Aufbau der Digitalkommunikation glaubwürdiger – ohne den schalen Beigeschmack, gleich als erstes PR-Schachbrettfigur eines umtriebigen Beraters zu werden.

Natürlich: Ohne Macher wie Bahr, die schneller denken und handeln als viele Ministerialbeamte, würde Deutschland vermutlich noch länger auf seine digitale Erweckung warten.
Aber echte Transformation braucht mehr als ein clever gesichertes Handle. Sie braucht Geduld, Substanz – und vielleicht manchmal auch den Mut, nicht die erste Schlagzeile zu suchen.