Leadership & Karriere Feiern für eine bessere Welt: Viva con Agua erfindet Charity-Arbeit neu

Feiern für eine bessere Welt: Viva con Agua erfindet Charity-Arbeit neu

Heute ist die Pfandbecherspende Oldie und Evergreen unter den Viva-con-Agua-Tools. Noch immer sind jährlich 1 500 Freiwillige während der Festivalsaison mit Tonnen unterwegs, schwenken die Vereinsfahne und nehmen etwa 150 000 Euro ein. „Der Becher ist noch immer wichtig für die Identifikation, für die Wiedererkennung. Wir geben keinen Cent für klassische Werbung aus. Wir haben die Pfandbechertonne“, sagt Meier.

Die Welthungerhilfe, der Viva con Agua die Spenden weiterleitet, ist anfangs fast überfordert. „Uns gibt es jetzt seit 60 Jahren, aber so was wie die hatten wir noch nicht gesehen“, sagt Wolfgang Hofmann, Marketingvorstand bei der Welthungerhilfe. Könnte man diesen neuen Verein nicht irgendwie eingliedern, eine Art Jugendhilfeorganisation daraus machen? Aber auch die alte Tante Welt-hungerhilfe lernte dazu. „Wir denken heute nicht mehr, wie wir junge Menschen zum Spenden bewegen können, sondern wir denken: Wie können wir Netzwerke für sie aufbauen?“

Zum Beispiel so wie Viva con Agua 2008 beim Wassermarsch. Da schiebt Adrions bester Freund Michael Fritz zusammen mit einem Haufen weiterer Leute ein Tschukudu, ein kongolesisches Lastenfahrrad, zu Fuß von Hamburg nach Basel. Unterwegs veranstalten sie Konzerte oder quatschen einfach nur Leute voll, wochenlang. Entlang der Route entwickelt sich etwas, das heute der größte Trumpf der Organisation ist. Eigene lokale Crews, sogenannte Zellen. Und am Zielpunkt, in Basel, ist Viva con Agua Schweiz entstanden. Die Reichweite zu erhöhen ist damals gar nicht die Absicht, es passiert halt.

Machen, was man eh macht

Die lokalen Zellen sind die Kraftwerke des Vereins. Multiplikatoren, Arbeitskräfte, Ideengeber, Korrektiv. Unternehmenscoach Michael Fuchs hilft Viva con Agua seit Jahren, dieses Potenzial zu heben, und er lernt selbst viel dabei. „Was Adrion da vor Jahren intuitiv auf den Weg gebracht hat, gilt heute als das Nonplusultra der modernen Unternehmensführung“, sagt Fuchs. Von Holocracy und selbstorganisierten Teams reden heute viele, umsetzen tun es wenige. „Viva con Agua ist ein lebendes System. Hochkomplex, dynamisch, agil“, so Fuchs.

In selbstorganisierten Teams, so sagt es auch die Managementtheorie, geben die Leute alles, und selbstorganisierter als bei Viva con Agua können sie kaum sein. Fritz, der heute im Verein den Bereich Aktionen leitet, sagt: „Es gibt enorm viele Möglichkeiten. Mach, was du sowieso machst, aber verbinde es mit Viva con Agua.“ Klingt nach laissez faire, ist es aber nicht ganz. Die lokalen Crews wählen ihre eigenen Vorstände, sie haben Strukturen und Ämter, gleichzeitig aber größtmögliche Gestaltungsfreiheit. „Je mehr du jemandem die Gestaltung überlässt, je mehr er formen kann, desto stärker bindet er sich an die Marke“, sagt Adrion. Da ist er wieder, der Manager.

Ein Manager, der sich mit ein paar Aspekten der Mitarbeitermotivation herumschlagen muss, die Konzernlenkern sonst erspart bleiben: latente Kapitalismuskritik in der Belegschaft. Viva con Agua muss aufpassen, Leute nicht zu verlieren oder die Ziele zu verwässern. Das gelingt gut, der letzte heikle Moment liegt schon ein paar Jahre zurück.

Es ist der Moment, in dem Viva con Agua eine GmbH gründet, um Wasser zu verkaufen. Dabei hält der Verein sich geschickt aus Produktion und Handel heraus. Abfüller ist ein norddeutscher Getränkehersteller. Viva con Agua kassiert pro Flasche eine Lizenzgebühr, wovon ein Teil zur Spende wird. Eigentlich wollte sich der Verein damit eine Art Flyer in Flaschenform schaffen. Aber die Verkäufe gehen Monat für Monat durch die Decke. 2015 verkaufte Viva con Agua mehr als 13 Millionen Flaschen. Im ersten Halbjahr 2016 schon 40 Prozent mehr als im Vorjahr.

Viva con Agua

Michael Fritz: Leitet in Vollzeit die Aktionen bei Viva con Agua, organisiert das Millerntorfestival und tourte mit Clueso durch Uganda (Foto: Robin Hinsch)

„Die Business-Schiene katapultiert uns in ganz andere Sphären“, sagt Michael Fritz, „13 Millionen verkaufte Flaschen sind eben 13 Millionen Mal Information, Spendenaufruf und Cashflow. Als Verein allein würdest du das niemals schaffen.“ Die Kanzlerin trank schon aus den blau-weißen Flaschen, George Clooney auch.

Netzwerk als Werbung

Andere Getränkehersteller beneiden Viva con Agua um den Erfolg aus dem Nichts. Gerade mal acht Leute beschäftigt die Wasser GmbH im Vertrieb. Ein Witz. Coca-Cola hat 20 Leute allein in Dortmund. Und die zahlen Geld für Verträge, statten Gastronomen mit Sonnenschirmen und Gläsern aus. Viva con Agua investiert nicht einen Cent in so was. Sie haben etwas viel Wirkungsvolleres: das Netzwerk der Ehrenamtlichen. Sie sind Konsumenten, ein riesiges dezentrales Salesteam und Brandbuilder zugleich. Sie sprechen Bioläden an, Kitas, Mensen. Weil die Freiwilligen es dort nachfragen oder Besitzer überzeugen. Je stärker eine lokale Crew, desto besser läuft an einem Ort auch das Wasser. Inzwischen kommen Läden und Gastronomen eher auf Viva con Agua zu als umgekehrt – und das, obwohl sie kaum etwas damit verdienen. Keiner versteht das so richtig. „Wahrscheinlich macht das der Verkäufer, weil er sich einen Imagevorteil durch das positive Image des Wassers verspricht“, philosophiert Adrion. „Das ist ein Perpetuum mobile.“

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