Life & Style Kiki Bosch: “Kälte ist kein Schmerz, sondern ein Werkzeug“

Kiki Bosch: “Kälte ist kein Schmerz, sondern ein Werkzeug“

Die Niederländerin Kiki Bosch taucht in Eiswasser. Ohne Neoprenanzug und Sauerstoffflasche. Für sie war es die Rettung – und ein beruflicher Neubeginn.

Frau Bosch, Sie tauchen nur mit einem Badeanzug bekleidet und ohne Sauerstoffflasche in eiskaltem Wasser. Wie sind Sie dazu gekommen?

Ich kam nicht von allein auf die Idee. Tauchen habe ich schon immer geliebt, schon im Alter von zwölf Jahren. Als ich später in Kolumbien einen Tauchkurs für Fortgeschrittene machte, wurde mir von Freediving erzählt. Das ist Tauchen ohne Sauerstoffflasche, du hältst nur den Atem an. Der kolumbianische Freedive-Champion war gerade in der Stadt, und da dachte ich mir, ich probiere das mal zusammen mit ihm aus. Und da habe ich mich sofort ins Freediving verliebt.

Aber warum das Ganze in eiskalten Gewässern?

Ich habe Eistauchen für mich entdeckt, als ich gerade ein Trauma durchlebte. Vor ein paar Jahren arbeitete ich in Thailand und wurde dort von einem Kollegen vergewaltigt. Das war sehr schlimm für mich, vor allem, weil ich niemandem etwas gesagt hatte. Wenig später vergewaltigte er ein weiteres Mädchen, und ich gab mir die Schuld daran. Es folgten Albträume, ich wurde ängstlich und depressiv, hatte sogar Selbstmordgedanken. Ich zog dann nach Australien, wusste aber nichts mehr mit meinem Leben anzufangen. Dann sah ich diese Dokumentation über einen Typen namens Wim Hof, der in kaltem Wasser tauchen geht. In dem Film sagte er: „Probieren Sie meine Methode aus, wenn Sie glücklich, gesund und stark sein wollen.“ Das war das Einzige, was ich in diesem Moment wollte, und da ich schon immer eine mutige Person war, habe ich es ausprobiert. Ich ging im australischen Winter schwimmen, bei zehn Grad Wassertemperatur.

Das half Ihnen tatsächlich über Ihr Trauma hinweg?

Wenn du in der Kälte bist, musst du dich sehr auf dich selbst konzentrieren. Du kannst nicht wirklich denken und nimmst einfach nur den Moment wahr. Für mich war dieser Tauchgang das erste Mal seit Monaten, dass die Stimme in meinem Kopf still war. Ich gab mir nicht mehr die ganze Zeit die Schuld für das, was passiert ist. Ich konnte meine mentale Kraft zurückgewinnen und lernte, mit meinen Emotionen auf eine neue Art umzugehen.

Wie das?

In der Kälte geht es um das pure physische Überleben, und dieses Gefühl habe ich in meinen Alltag übernommen. Ich stellte fest, dass mein ganzes Leben ein Eisbad, ein großer Stressor, war. In der Kälte konnte ich mich beruhigen und mir sagen, dass alles gut ist. Aber im normalen Leben habe ich das nicht hinbekommen. Also habe ich mir beigebracht, diese Beruhigungstechniken im Alltag zu nutzen. Ich habe gelernt, mir die Fehler, die ich gemacht habe und die ich noch machen werde, zu verzeihen. Denn wenn man an diesen Fehlern festhält, zieht einen das nur runter. Ins Eiswasser zu gehen wurde meine Meditation, um inneren Frieden zu finden.

Was sind das für Taktiken, die Sie auch im Alltag anwenden?

Es gibt mentale Übungen, beispielsweise sich auf seinen Atem zu konzentrieren. Außerdem trainierst du beim Eisbaden einen Schalter im Gehirn, wie einen Muskel. Dein Verstand sagt dir: Es wird kalt, mach’s nicht. Aber trotzdem kannst du deinen Körper dazu bringen, ins Wasser zu gehen. Du entscheidest. Auch heute Morgen wollte ich nicht kalt duschen, aber wenn du es tust, gibt es dir Power, denn du überschreibst deine eigenen Gedanken. Und genau diese Power ist es, die wir im Leben brauchen.

Glauben Sie, jeder könnte das lernen?

Ja, jeder hat die Kraft, sich selbst zu überschreiben. Jeder ist in der Lage, das zu machen, was ich tue, das ist eine rein mentale Sache. Es ist meine Mission, den Leuten zu zeigen, dass sie zu viel mehr fähig sind, als sie denken. Wir Menschen haben so ein großes Potenzial in Körper und Geist.

Um mal eine Vorstellung zu bekommen: Wie fühlt es sich an, in eiskaltes Wasser zu steigen?

In der Vorbereitung fokussiere ich mich sehr auf mich selbst und meine Atemtechnik. Sobald ich hineingehe, schmerzt es, wie stechende Nadeln. Aber das ist okay, denn es ist ein Reflex des Körpers, auf den äußeren Stress zu reagieren. Und sobald man das realisiert, ist es kein Schmerz mehr, sondern ein Werkzeug. Der Körper passt sich der Kälte an.

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