Life & Style Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst: “Neuerfindung gehört mittlerweile zur Brand“

Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst: “Neuerfindung gehört mittlerweile zur Brand“

Schon wieder ein neues Album der österreichischen Band Bilderbuch. Sänger Maurice Ernst im Interview mit Business Punk über schräge Texte, seine Lässigkeit und neue Ziele

Maurice, ihr habt im Dezember euer Album „Mea Culpa“ veröffentlicht, im Februar erscheint gleich das nächste: „Vernissage My Heart“. Beide klingen völlig anders als das, was man von euch kennt. Was ist passiert?

Nur der natürliche Fluss, den man zulässt, wenn man einfach Musik macht und weniger darüber nachdenkt, was man ist und wie man sein will. Ganz am Anfang sind wir in ein Haus nach Kroatien gefahren und haben zwei Wochen nur Musik gemacht. Jeden Tag haben wir einfach eine neue Idee in den Raum geworfen und dran gearbeitet. Als wir nach Hause gekommen sind, wussten wir: Wir haben Stuff, wir haben Spirit. Ich glaube, allein dieses Ändern des Modus, wie man an etwas Neues geht, ändert schon viel.

Wolltet ihr euch unbedingt verändern?

Das ist die größte Stärke und die größte Schwäche der Band: Wir sind extrem schlecht im Wiederholen, weil wir zu ungeduldig und zu wenig fokussiert sind. Wir können gar nicht sagen: Wo waren wir gut, wie verarbeiten wir was genau? Aber gleichzeitig ist das auch unsere größte Stärke: Wir nehmen einfach keine Rücksicht auf das, was uns schon gut gelungen ist. Alles ist eine Phase, eine Lebenseinstellung – du willst halt noch irgendwas entdecken. Neuerfindung gehört ja mittlerweile schon zur Brand dazu. Dafür sind wir ja auch da, so die Mutigen, die vorn ein bissl herumplänkeln.

Das Rumgeplänkel fällt auf den neuen Alben aber sehr viel zurückhaltender aus. Das Laute, Exzentrische – für euch so typisch – fehlt. Ist das der kroatischen Sonne geschuldet?

Wahrscheinlich dem kreativen Flow, aber es hat sicher auch ein bissl was mit dem Alter zu tun und auch mit Ankommen. Aber nicht im entspannten Sinne, dass man sich jetzt nicht mehr herausfordert, sondern einfach ein gewisses Vertrauen in die eigene Qualität hat. Natürlich sagt sich das so, weil ich weiß, dass Bilderbuch soundtechnisch auch noch tausendmal besser sein könnte, gerade wenn man es mit amerikanischer Musik vergleicht.

Bist du wirklich so selbstkritisch?

Auch wieder nicht. Das ist so wie Sport: Es gibt die, die 100 Meter laufen und die Schnellsten sind, aber das ist halt nur geradeaus. Wenn du Kurven machst, kannst du nicht der Schnellste sein. Aber wir sind Perfektionisten und denken uns natürlich: Nächstes Mal wird es noch besser.

Warum denn aber zwei Alben mit so kurzem Abstand? Und das quasi über Nacht?

Es ist eine Zeit, in der man Sachen ausprobieren kann. Im Musikbusiness gibt es gerade kein System, keine klassischen Kampagnen mehr. Seit zwei Jahren fangen auch die Größten der Großen an, ihre eigenen Selling-Modelle nicht mehr zu erfüllen, sondern machen Overnight-Releases, machen keine Alben mehr, machen 25 Lieder auf ein Album – es passieren einfach Dinge. Releasen und die Art, wie man seine Musik veröffentlicht, sind ein Teil des Images und Teil der Dramaturgie geworden. Wenn man da Spaß dran hat und wenn man eh gern theatralisch, dramaturgisch Sachen inszeniert, muss man es fast nutzen, sonst ist es fad. Das war der erste Grund.

Und der zweite?

Wir haben relativ wenig nach links und rechts geschaut und alles zu hundert Prozent ausgeblendet. Nicht an die Außenwirkung und an die Präsenz gedacht, sondern wirklich nur Musik gemacht – unsere Kernkompetenz. Wenn man das macht, passiert Musik, die du eigentlich nicht so auf dem Schirm hast. Und auf einmal hast du so Extreme wie auf „Mea Culpa“ das „Lounge 2.0“ und auf „Vernissage My Heart“ „Kids im Park“, die, wenn du die zusammenstellst, so unendlich weit auseinanderliegen, dass es nicht mal ansatzweise möglich ist, die auf eine Platte zu geben.

2005 als Schülerband gestartet, wurden Bilderbuch zehn Jahre später mit der Single „Maschin“ schlagartig berühmt. Heute wird die Band rund um Maurice Ernst als Nachfolger von Popikone Falco gefeiert – und gilt als Wegbereiter der aktuellen Austropop-Welle. ©Neven Allgeier

Dein Umgang mit Sprache ist bemerkenswert, Zeilen wie „Lecko mio, dios mio“ und „Nenn mich Maurice Antoinette“ haben euch berühmt gemacht. Wie kommst du auf so etwas?

Manchmal ist das ganz was Einfaches, einfach weil man es erlebt. Und manchmal hast du ein paar Wörter oder einen Satz, der dich anfixt, und dann ist es ein Gefühl wie hundertmal mit der Schulter gegen die Wand. Und du weißt, wenn du durch die Wand kommst, dann macht das Sinn.

Hattest du schon immer so viel Freude am Rumspielen mit Sprache?

Ich war nie gut in Deutsch im klassischen Sinne, also mir ist nie ein Talent attestiert worden, dass jemand gesagt hätte: „Schau dir an, wie der schreibt, das ist ja nicht zu glauben, er balanciert sich durch die deutsche Sprache.“ Was ich schon immer hatte, ist diese Nix-ist-fix-Attitüde. Ich habe irgendwann entdeckt, dass es eine Freude ist, Fehler zu machen. Wer sagt mir, wie ich singen soll? Nach der Grammatik? Naa! Wenn ich statt „ich“ lieber „äääh“ singen will, dann ist das meine Entscheidung. Aber es hat Jahre gedauert, bis ich dieses Selbstbewusstsein hatte.

Wenn du auf der Bühne stehst, hat man das Gefühl, du bist der geborene Performer. Bist du eine Rampensau?

Das war auch ein Prozess, aber ich habe ja mein Leben lang nichts anderes gemacht. So wie andere mit 15 anfangen, irgendeinen Sport zu machen, habe ich mit 15 angefangen, auf Bühnen zu stehen. Natürlich war mein erster Auftritt mit zitternder Hand und extremer Angst, aber wenn man das 15 Jahre lang macht, dann ist es das Natürlichste, was man machen kann. Wenn ich physisch in meiner Mitte bin, ist das der Moment, an dem ich am besten ausschalten kann.

Wie lange hat das gedauert, bis du diese Lässigkeit hattest?

Es hat ein paar Momente gegeben, die sicher Meilensteine in meinem Performance-Leben waren. Das war zum Beispiel 2012, da haben wir mit Bilderbuch zum Geburtstag unseres früheren Labels gespielt. Obwohl ich kein Wort Italienisch konnte, habe ich mich auf die Bühne gestellt und in einer viel zu engen Glockenhose und einem zerrissenen Bauchshirt eine halbe Stunde Adriano Celentano gesungen. Was natürlich katastrophal war, aber mich als Performer befreit hat auf eine Art und Weise, wie mich davor noch nichts befreit hat. Dieser Move hat mir das Gefühl gegeben, dass ich alles machen kann, was ich will.

Im Mai spielt ihr zwei Konzerte vor dem Schloß Schönbrunn in Wien, jeweils vor 15 000 Leuten. War das euer großer Traum?

Wir sind vor zwei Jahren zusammengesessen und haben uns die Frage gestellt: Was jetzt? Was machst du das nächste Mal in der Stadt, in der du lebst, in der du verhältnismäßig am größten bist? Und da kam uns die Idee, dass wenn jemand in Schönbrunn spielen sollte, dann doch wir. Das ist in diesem Land, in diesem kleinen Österreich, gewissermaßen das Coolste, was man machen kann, rein aus Prinzip.

Was kann danach noch kommen?

Das Ding ist: Ziele ändern sich. Gerade in einer Phase, in der man schon sehr viele Ziele erreicht hat, von denen man geglaubt hat, dass sie nicht zu erreichen sind. Ab dem Moment, an dem du über den Punkt hinaus bist, verlierst du so einen Ellbogen, irgendwas, womit du durchpushen kannst.

Was dann?

Dann musst du anfangen, dich neu zu formieren. In den letzten zwei Jahren hat jeder in der Band seine eigene Entwicklung durchgemacht, im Sinne von: Wir machen das, um es den anderen zu zeigen, aber wenn du es schon vielen gezeigt hast, fällt das weg. Natürlich machst du nicht alles nur, um es jemand anderem zu zeigen, aber jetzt halt noch weniger. Und irgendwann musst du anfangen, einen neuen Trotz zu entwickeln. Was ist das, was dich nervt, was treibt dich an?


Ten, nine, eight, seven … Die neue Ausgabe von BUSINESS PUNK ist ein echter Moonshot: In der Titel-Story erklärt der japanische E-Commerce-Unternehmer und Milliardär Yusaku Maezawa, warum er mit Elon Musk zum Mond fliegen wird – und gleich sämtliche Tickets für die Reise ins All gekauft hat. Außerdem gibt es ein ganzes Dossier zum Thema „Future City“. Darin besuchen wir eine Gruppe aus Architekten, Tüftlern und Gründern, die in Rotterdam gerade ein halbverottetes Spaßbad saniert und ausprobiert haben und zeigen, wie man alte Häuser neu und anders nutzen kann, statt sie abzureißen. Entsteht dort gerade ein Modell für den Stadtumbau der Zukunft? Für mehr Infos hier entlang.

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