Leadership & Karriere Zwischen Sorge und Hoffnung – So erleben Kreative und Fotograf*innen die Coronakrise

Zwischen Sorge und Hoffnung – So erleben Kreative und Fotograf*innen die Coronakrise

Marian Lenhard, Bamberg

Foto via Marian Lenhard | Instagram @marianlenhard

Wie empfindest du die aktuelle Situation?

Vielleicht ist es der anbrechende Frühling, aber bislang genieße ich die Tage. Das fällt nicht immer leicht, zwischen stündlich neuen Meldungen und großer finanzieller Unsicherheit für mich und alle Bekannt*innen und Freund*innen, aber eigentlich ist genau das (mit voller Wucht) eingetroffen, was ich mir für das Jahr vorgenommen hatte: mehr Zeit für eigene Projekte.

Was gibt dir Hoffnung? 

Mir persönlich tut es gut, mit einem Freund rauszugehen und durchs Umland zu streunern. Deshalb habe ich dieses Foto gewählt, welches gestern entstanden ist. #stayathome ist wichtig, kann aber schnell Defätismus in den Menschen hervorrufen.

Ansonsten etabliert sich gerade die schöne Tradition des Fensterbesuches: Die Ausgangssperre verbietet nicht, vor dem Haus einer Freundin zu stehen und dort einen Plausch zu halten. Oder einfach nachzusehen, ob alles passt. Diese Leichtigkeit im Alltag tut gut.

Bisher habe ich das Gefühl, dass alle näher zusammenrücken. Das klingt paradox, ist doch Abstand das Wort der Stunde, aber der Austausch nicht nur zwischen den Kulturschaffend*innen hier ist durch die Krise sehr rücksichtsvoll und achtsam geworden. Die Gespräche drehen sich nun nicht mehr nur um Geschäftliches, sondern es wird mehr nach dem Wohlsein gefragt. Überhaupt wird gerade viel angestoßen, wie sich eine Stadt mit all ihren Organen gegenseitig unterstützen kann.

Hayley Austin, Hamburg

Foto via Hayley Austin | Instagram @hayley.austin.photo

Wie empfindest du die aktuelle Situation?

Es gibt verpasste Möglichkeiten, für die es unmöglich ist, einen Preis festzulegen. Ich sollte diese Woche in New York sein, um mein erstes Fotobuch bei Paris Photo New York zu präsentieren. Das LUMIX Photo Festival in Hannover, für das ich ausgewählt wurde, ist ebenfalls abgesagt. In einer Branche, in der Sichtbarkeit und Vernetzung so wichtig sind, ist der Verlust dieser Möglichkeiten schwer zu verkraften.

Es ist unnötig zu erwähnen, dass der Verlust des Einkommens aufgrund von stornierten Jobs einen enormen finanziellen Rückschlag für alle Freiberufler*innen darstellt. Ich mache mir jedoch darüber hinaus Sorgen, was dieser finanzielle Verlust für Fotografinnen bedeuten wird.

Ende 2019 hat der Deutsche Journalisten-Verband Hamburg (DJV) und der SPIEGEL die Credits von Magazin-Titelseiten ausgewertet. Ziel war es herauszufinden, wer für die größten Zeitschriften Deutschlands den Auftrag für das Titelbild bekommen hat. Sie haben sich 30 populäre Magazine angesehen und die Ergebnisse sind deprimierend. Bei allen Magazine wurden Frauen sehr viel seltener gebucht. Die einzige Ausnahme war das Elternmagazin. 

Es weist auf geschlechtsspezifische Vorurteile hin, die nichts damit zu tun haben, wie gut oder schlecht sich Fotografinnen vermarkten. Die Tatsache, dass das Elternmagazin die einzige Zeitschrift ist, die mehr Fotografinnen engagiert hat, spricht Bände.

Wenn die Motoren der Branche wieder anlaufen, hoffe ich, dass Bildredakteur*innen, Art Buyers und Unternehmen bewusste Anstrengungen unternehmen, um für den Rest des Jahres 2020 und in Zukunft mehr Fotografinnen zu buchen.

Was gibt dir Hoffnung?

Es gibt mir Hoffnung, die Solidarität und Kreativität zu sehen, die gedeihen, wenn die üblichen Systeme gestört werden. Ein Beispiel dafür ist die Onlinegalerie von artistinthebox.com. Eine Gruppe von engagierten Frauen aus Köln hat einen Verkauf von Kunstdrucken konzipiert, um Künstler*innen in dieser schwierigen Situation direkt zu unterstützen. Das solidarische Prinzip kommt mit jedem Verkauf zu tragen, bei dem 30 Prozent bei den Künstler*innen und 20 Prozent bei den anderen teilnehmenden Künstler*innen zu Gute kommen.

Julia Steinigeweg, Hamburg/Berlin

Foto via Julia Steinigeweg | Instagram @juliasteinigeweg

Was gibt dir Hoffnung?

Im Austausch mit Kolleg*innen bemerke ich eine große Solidarität und ein kollektives, aber gemeinsames Innehalten. Ich habe die Fotografiebranche immer als wertschätzend und herzlich wahrgenommen und fühle mich in meiner Annahme bestätigt. Bildredakteur*innen und Fotograf*innen halten zusammen und versuchen, so viele Jobs wie möglich zu generieren. Ich hoffe, dass die Printbranche nicht all zu große Umsatzeinbußen fürchten muss.

Gerade versuche ich, mich mit Freund*innen und Kolleg*innen dem Nachrichtensog zu entziehen und sich gemeinsam über Fachliteratur und Artikel auszutauschen. Es ist angenehm, dass jetzt mehr Zeit und Ruhe für die tiefergehenden Themen vorhanden ist.

Das Bombardement durch Influencer & Co wird irrelevant und es entsteht die Sehnsucht, seine Zeit mit Sinnvollem zu füllen. Das kann doch eine gute Nachricht für die Kulturbranche sein. Mir gefallen die Lösungen, Kultur auch online erfahrbar zu machen – beispielsweise durch Übertragung von Theaterinszenierungen oder Online-Museumsführungen.

Was sind deine Wünsche für die Zukunft?

Ich hoffe, dass wir lernen, dass finanzielle und gesellschaftliche Anerkennung zwei verschiedene Dinge sind und jeder Mensch beides benötigt. Mein Mann ist Lehrer und ich sehe, wie wenig sein Beruf und das, was er jeden Tag leistet, von gesellschaftlicher Wertschätzung geprägt ist. Gleichzeitig wird er verhältnismäßig gut bezahlt. Natürlich gilt das nicht für Gesundheits- und Krankenpfleger*innen und Verkäufer*innen, die finanziell viel schlechter aufgestellt sind.

Als Fotografin ist man Lob gewöhnt. Die meisten Menschen freuen sich über die Produkte kreativer Arbeit und ich freue mich wiederum, dass ich hier und da ein Lob für meine Arbeit erhalte. Dass wir dafür finanziell weitaus schlechter aufgestellt sind, ist schlichtweg unfair und ich hoffe, dass wir lernen, uns kollektiv gegen eine zu geringe Entlohnung stark zu machen. Gerade in Zeiten, in denen das Fehlen von kreativen Impulsen offenbar wird, besteht eine Chance für uns, die Bedeutung unserer Professionen deutlich zu machen.

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