Productivity & New Work Kolumne: Warum Führungskräfte öfter Schwäche zeigen sollten und wie das gelingt

Kolumne: Warum Führungskräfte öfter Schwäche zeigen sollten und wie das gelingt

von Lea-Sophie Cramer

Wenn die Welt kopfsteht, wollen wir eins nicht sein: verletzlich. Dieser Impuls ist menschlich, aber falsch. Gerade jetzt brauchen wir eine neue Art für den Umgang miteinander, für die Zusammenarbeit, aber vor allem im Leadership.

Mein Managermantra heißt: „Be vulnerable“ – „Sei verletzlich“. Und zwar aus drei Gründen:

1. Krisenzeiten erfordern mehr Menschlichkeit

In der Krise muss das Leitbild von Führung die Empathie sein. Statt vorher selektierte Krisen-PR vorgesetzt zu bekommen, will ich als Mitarbeiterin die Menschen hinter den Manager*innen kennenlernen.

Ein Vorbild ist für mich der Marriott-CEO Arne Sorenson, der seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Videostatement auf die harten Konsequenzen für das Hotelgewerbe einstimmt. Er kämpft dabei sichtlich mit den Tränen und geht offen mit seiner eigenen Krebskrankheit um – ganz nach Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“

Lea-Sophie Cramer: Die Unternehmerin hat den Erotikhändler Amorelie aufgebaut und an Pro Sieben Sat 1 verkauft. Ende 2019 stieg sie als CEO aus. Mittlerweile ist Cramer als Business-Angel bei Starstrike Ventures und als Beiratsmitglied tätig. (Foto: Patrycia Lukas)

2. Das Prinzip Predict and Control hat ausgedient

Unser geübter Modus von oben diktierten Fünfjahresplänen und Kennzahlenkontrolle reicht nicht mehr. Um mit der großen Volatilität umgehen zu können, brauchen wir schnellere Innovation und Anpassungsfähigkeit. Dafür müssen Führungskräfte mehr fragen und weniger senden.

Sie müssen in diesem Fall Verletzlichkeit zeigen und aussenden, indem sie signalisieren, dass sie auch nicht auf alles eine Antwort haben. Das schafft Raum für Kreativität und Widerspruch und damit für neue Lösungen und Antworten.

Und das stärkt den Zusammenhalt: Der Neurowissenschaftler Paul Zak hat herausgefunden, dass das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet wird, wenn man um Hilfe gebeten wird. Wer als Vulnerable Leader um Hilfe bittet, stärkt damit das Team.

3. Verletzlichkeit steigert die Produktivität

Wer verletzlich ist und Emotionen zeigt, ermöglicht Vertrauen. Vertrauen ist die Basis für funktionierende Teams.

In Studien zum Zusammenhang zwischen Vertrauen und Unternehmensergebnissen haben US-Wissenschaftler*innen etwas Interessantes herausgefunden: Im Vergleich zu Mitarbeiter*innen in sogenannten „low-trust companies“ haben Mitarbeiter*innen in „high-trust companies“ 74 Prozent weniger Stress, sind um 50 Prozent produktiver und weisen 13 Prozent weniger Krankheitstage auf.

Vulnerable Leadership ist heute kein Nice to Have mehr, sondern ein unternehmerischer Erfolgsfaktor.

Mehr Mut zu Vulnerable Leadership

Was Vulnerable Leadership heißt: „Vulnerability sounds like truth and feels like courage“, sagt die amerikanische Psychologin Brené Brown. Sie hat den Begriff geprägt. Für mich hat Vulnerable Leadership drei Säulen:

Authentizität: ehrlich teilen, wie es einem geht. Vor zwei Jahren habe ich mich vor mein Amorelie-Team gestellt und gesagt: Ich bin erschöpft und brauche eine Auszeit – und zwar ab nächster Woche. Keiner hat die Augen verdreht, alle haben genickt.

Kommunikation: Das bedeutet, in allen Lebenslagen sichtbar zu sein. Philipp Pausder, der Chef des führenden Heizungsinstallateurs Thermondo, hat in den ersten Wochen des Lockdowns jeden Abend eine Videobotschaft für seine Mitarbeiter*innen aufgenommen. Mit einem Update zur Lage und dem Signal: Wir sitzen alle im selben Boot.

Transparenz: Es ist wichtig, klar zu sagen, wie es gerade steht. Die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern hat mit ihren „Conversations through Covid-19“ auf Facebook Live Bürgerinnen und Bürgern Fragen zur Krise beantwortet – in ihrer Rolle als Regierungschefin jederzeit transparent und zugänglich.

Vulnerable Leadership lernt man allerdings nicht in Büchern oder durch Coachings: Vielmehr ist es eine Haltung, die mit kleinen Schritten anfängt: mit persönlichen Check-ins bei Besprechungen, mit der offenen Präsentation der Quartalszahlen im nächsten All-Hands-Meeting und mit der offenen Antwort: „Keine Ahnung“, wenn jemand nach einer direkten Lösung fragt.

Freundinnen und Freunde, es ist wieder soweit: Unsere neue Ausgabe ist da. Und dieses Mal sogar mit zwei unterschiedlichen Covern. Oh yeah! Über 160 druckfrische Seiten mit den spannendsten Entwürfen zum Gründen und Leben: Wer steckt hinter Berlins ambitioniertester Gründer-WG? Und wie verbreitet die Factory Berlin ihr erfolgreiches Community-Konzept bald deutschlandweit? Außerdem: Wie der Kunstmarkt sich rapide verändert und sich die Modewelt weg von Fast Fashion bewegt. Also ab zum Kiosk oder zum Aboshop.

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