Innovation & Future Glück Auf, der Steiger kommt! Und Bochum erst recht!

Glück Auf, der Steiger kommt! Und Bochum erst recht!

Gute Nachrichten liest man selten über Bochum. Doch was, wenn sie nur übersehen werden und die Stadt schon längst nichts mehr mit dem zu tun hat, was sie mal war?

Dem Ruhrgebiet eilen Ruf und Identität voraus: Bergbaugegend. Und seit es keine Kohle mehr gibt, hat die Region folgerichtig mit dem Bedeutungsverlust zu kämpfen. Die Städte Hamm, Dortmund, Herne, Gelsenkirchen, Bottrop, Oberhausen, Duisburg und auch Bochum bilden in Nordrhein-Westfalen eines der größten Ballungszentren Europas: 4 500 Quadratkilometer, 5,1 Millionen Einwohner. Die Namen tragen den Sound der Nachkriegs-BRD mit sich, den Sound der 80er, Grönemeyer. Man denkt an Malocher mit rußigen Gesichtern, an Kohle, an Stahl. Doch die alten Bilder haben inzwischen einen vergilbten Schleier, heute verbindet man das Ruhrgebiet mit dem scheußlichen Wort Strukturwandel. Gibt es in Deutschland eine Region, die sich so sehr mit ihrer Vergangenheit als Boomregion abzumühen hat wie das Ruhrgebiet?

Doch was, wenn diese Bilder im Kopf schon längst nicht mehr stimmen? Wenn es eigentlich viele gute wirtschaftliche Nachrichten aus dem Pott gibt? Was, wenn es sich schon lange nicht mehr um ein Arbeitergebiet handelt, sondern um eine Dienstleistungs- und Angestelltenregion?

Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch fasst den Kern der Legende um seine Stadt mit einem griffigen Satz zusammen: „Früher gab es hier 300 000 Bergleute und keine Studierenden. Heute gibt es hier 300 000 Studierende und keine Bergleute.“ Seit 1973 sind die Bergarbeiter weg. Damals wurde die letzte Zeche Hannover/Hannibal dichtgemacht, danach war Schicht im Schacht. Was bleibt, ist die Erinnerung. Der Bergbau ist zudem nicht die einzige Industrie, die aus der Stadt verschwunden ist: 2008 schloss das Nokia-Werk, 2014 das Opel-Werk. Das sind große Verluste, die muss man verkraften – aber sie gleich als Stunde null erachten?

Offenbar ja, denn Eiskirch sagt: „Wir haben den Wandel in Bochum früher immer als etwas begriffen, das man bewältigen muss. Heute sehen wir die Chancen.“ Da dies bis dato aber nur semi-gut geklappt zu haben schien, beschloss er bei seinem Amtsantritt im Jahr 2015, es anders zu machen. Zwar mag das Verschwinden der Schwerindustrie seiner Stadt Probleme beschert haben. Doch dafür ist eben auch Raum für Neues entstanden.

Fließende Prozesse

Also hat Eiskirch Bochum auf ein Ziel ausgerichtet: nicht mehr Spielball großer Industrien sein, sondern einen eigenen Weg unabhängig von ihnen gehen. Dazu hat er einen Ort ausgemacht, an dem diese neue Mythenbildung beginnen soll – und das ist ausgerechnet das Opel-Werk.

Im Grünen in Bochum. Foto: Haidar Shreif

2015 hing hier noch das Emblem mit dem Blitz über den Werkstoren, Hallen standen aneinandergereiht. Und weil Platz wertvoll ist, haben Stadt und Konzern sich darauf geeinigt, dass man die Fläche weiternutzen will. Man hat damit bereits angefangen, bevor die Produktion endete. General Motors hat die Fläche der Stadt für einen symbolischen Wert überlassen. Und die siedelt dort seitdem neue Player an: Universitäten, Hochschulen, Institute und natürlich Gründer.

Neu ist zudem die Sprache. „Als Erstes habe ich das Glückauf aus meinen Reden gestrichen“, sagt Eiskirch, der damit auch einen rhetorischen Neustart wagen wollte. Weg mit dem alten Eiapopeia vom Bergbau. „Auf dem Gelände sollen am Ende deutlich mehr als doppelt so viele Leute arbeiten wie zu Opel-Zeiten“, sagt der Bürgermeister. Dazu ein fresher Name: Mark 51°7. Und, schwupps, der Ort, der lange für miese Stimmung sorgte, ist zu einem Ort geworden, an dem das neue Bochum entstehen sollte – nämlich ein Hotspot für die Digitalisierung.

Das sind fließende Prozesse. Noch bevor Opel weggezogen ist, haben die Universitäten bereits regen Zulauf gehabt, die 300 000 Studenten sind nicht alle erst nach 2014 nach Bochum gekommen. Doch passierte das eben unter der Oberfläche der öffentlichen Wahrnehmung. „Ich habe den Anspruch, dass wir uns nicht mehr verstecken“, sagt Eiskirch.

Allerdings gibt es noch immer die Mentalität der Ruhrgebiet-Natives. Und die ist nachhaltig von einer Industrie geprägt, die wenige Show-off-Charakter kannte. Sich jetzt als hübsch und modern zu zeigen fällt hier vielen schwer, weil man sich dafür aus seiner Komfortzone wagen muss.

Eiskirch hat mehrere Faktoren ausgemacht, die aus Bochum einen internationalen Digital-Hotspot machen sollen: „Wir haben hier eine Kombination aus guten Leuten, exzellenter Wissenschaft und niedrigen Lebenshaltungskosten“, sagt er. Die Universitäten und Hochschulen sind Eckpfeiler seines Plans. Längst schon läuft die Ausbildung junger Leute auf Hochtouren. Sie sollen immer mehr Ideen entwickeln, mit denen sich die Stadt von ihren alten Industrien lösen kann. Einen Vorteil hat der Nachwuchs: Nur wenige kennen die alte Zeit. Die meisten kennen Bochum nur als Digitalregion und wollen diesen Ruf weiter befeuern. Auch die Lebenshaltungskosten spielen Eiskirch in die Karten. Es reicht ein Blick in andere Städte: München ist durchgentrifiziert. In Berlin und Hamburg viele Stadtteile auch. Die Mieten für Wohnungen sind hoch, für Büros auch. Bier und Pizza am Abend sind da noch gar nicht mit drin. Ein Vorteil für Bochum. Zwar (noch) unsexy – aber bezahlbar!

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