Green & Sustainability Was Parfum mit diesem Tier zu tun hat(te)

Was Parfum mit diesem Tier zu tun hat(te)

26 Zutaten wie etwa Eichenmoos müssen deshalb in der EU auf dem Etikett aufgeführt werden. Allerdings sei die Konzentration oft so niedrig, dass das Risiko gering bleibt. Wie sich Duftstoffe auf den Organismus auswirken, ist erst teilweise erforscht. Erstaunlich bei einem so omnipräsenten Produkt. Einige Substanzen sind aber so bedenklich, dass sie in der EU verboten sind, zum Beispiel Moschus-Ambrette.

Anders als ätherische Öle, wie sie Aer Scents verwendet, sind die synthetischen Duftstoffe außerdem biologisch schlecht abbaubar. Sie landen am Ende in Gewässern und bleiben dort. Wissenschaftliche Proben weisen sie in Berliner Flüssen oder der Nordsee nach. Auch im Organismus von Fischen sammeln sich künstliche Duftstoffe. Die Parfums sind nur ein kleiner Teil des Problems, denn heute wird fast alles beduftet, bis hin zum schnöden Spülmittel.

Gründer Young-Ing vergleicht seine Marke mit dem Schnabeltier. Bildquelle: Meg Jerrard

Wenn man Young-Ing fragt, wie er Aer Scents im globalen Duftmarkt sieht, dann denkt er an „den Endpunkt einer evolutionären Kette. Etwas wirklich Eigenartiges und Obskures. Wie das Schnabeltier“. Denn Aer mache eben alles auf die denkbar komplizierteste Art. Die großen Spieler auf dem Markt streichen Milliardenumsätze ein, aber niemand kennt sie. Ihre Namen sind Givaudan, Firmenich, IFF oder Symrise. Es sind solide Gewinnmaschinen der chemischen Industrie. Nur bleiben sie für Endverbraucher unsichtbar. Givaudan? Stellt Azzarro pour Homme oder Cerruti 1881 her. Firmenich? Acqua di Gìo und Armani Code.

Magic Moschus

Doch warum wurden die Labordüfte überhaupt so populär? Das hat wieder etwas mit Naturschutz zu tun, beispielsweise mit einem sagenhaft anmutenden Wesen aus Sibirien. Es sieht aus wie eine Mischung aus Hase und Antilope. Außerdem ragen aus seinem Mund zwei lange, gebogene Zähne. Sie ähneln denen eines Säbelzahntigers. Die Rede ist vom Moschustier. Es ist entfernt mit der Ziege verwandt. Für den Menschen wäre dieses Wesen wohl von geringem Interesse, wenn männliche Moschustiere in einem Fellbeutel nicht ein Sekret produzierten, das dem Tier seinen Namen gibt.

Moschus war lange Zeit eine der wertvollsten Parfumsubstanzen. Der Geruch wird als animalisch und warm beschrieben. Angeblich soll Moschus außerdem als Pheromon wirken, also körperlich anziehend. Für ein Kilo des Sekrets müssen ungefähr 36 der sanften Kreaturen getötet werden. In China versuchen Züchter es alternativ mit der Haltung in Farmen. Man schabt dort das Sekret bei den lebenden Moschus-Männchen aus dem Körper. Auch nicht angenehm.

Aer Scents verzichtet komplett auf tierische Produkte, die Düfte sind vegan und cruelty-free. Außerdem sagt der Gründer: „Wir wollen jeden unserer Rohstoffe bis aufs Feld zurückverfolgen können.“ Ein Fairtrade-Label hat Aer Scents nicht, die Marke setze sich stattdessen selbst hohe Standards für die Herstellungsbedingungen.

Das sorgt für hohe Preise. „Vanille ist unser teuerster Rohstoff“, sagt Young-Ing. Der Duftstoff wurde in den vergangenen Jahren manchmal höher als Silber gehandelt. Aer mischt ihn für „Accord No. 02“ mit Silberfichte und Wacholder. Natürliche Inhaltsstoffe haben eine weitere Tücke: Das Angebot schwankt. In manchen Jahren fällt die Ernte besser aus, in anderen schlechter. Für die Bäur:innen in Madagaskar, dem berühmtesten Anbaugebiet, ist die Vanille vor allem harte Arbeit. Und lebensgefährlich, denn wenn etwas so wertvoll ist, lohnt sich auch der Diebstahl. Selbst gemordet wird mittlerweile für den Stoff. Die Bauern mussten ihre Felder teilweise bewaffnet bewachen lassen. Alles wegen des unscheinbaren Fadens aus der Orchideenblüte.

Die Herkunft des Rohstoffs ist geheim

Um die Iriswurzel für den neuesten Duft zu finden, nahmen Young-Ing und Kehl sich lange Zeit. Sie fanden sie in Italien. Aber mehr Details wollen sie nicht verraten: „Wir hatten mal das Problem, dass einer unserer Inhaltsstoffe nicht mehr geliefert werden konnte, nachdem wir den Herstellernamen offengelegt hatten.“

Bis heute werden die Düfte alle in einem Atelier am Rosenthaler Platz in Berlin hergestellt. Von Hand. Es gibt auch Kurse, in denen Interessierte selber ein Parfum mischen können, sofern es die Pandemielage zulässt. Jetzt ist nur die Frage, ob sich Young-Ings und Kehls Schnabeltier gegen die Riesen auf dem Markt behaupten kann.

Aus einem Atelier in einer Berliner Altbauwohnung lässt sich gegen die Laborgiganten wohl nicht der Weltmarkt erobern. Die Gründer überlegen deshalb gerade, wie sie sich weiterentwickeln können, ohne ihren Markenkern aufzugeben. Ein Blick in die Fauna könnte ihnen dabei Hoffnung geben. Denn die Evolution begünstigt nicht die größten und stärksten, sondern die anpassungsfähigsten Wesen: Mammuts sind ausgestorben. Das Schnabeltier lebt bis heute.

Es ist wieder soweit: Unsere neue Ausgabe ist da. 172 druckfrische Seiten mit einer Menge Storys und Persönlichkeiten zum Dossier-Thema „Green“. Außerdem: Wie ein Podcaster eine eigene Pasta-Sorte schafft, wie ein Gründer:innen-Netzwerk in Südafrika Artenschutz vorantreibt und wie David Brunier die am schnellsten wachsende Kaffeekette der Welt baut. Ab zum Kiosk oder zum Aboshop.

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