Green & Sustainability Was Parfum mit diesem Tier zu tun hat(te)

Was Parfum mit diesem Tier zu tun hat(te)

Was in diesem Artikel steht: Text, Buchstaben, Satzzeichen. Es ist schon dreist, einen Magazinartikel mit einer solchen Nullaussage einzuleiten. Das sieht ja jede:r auf den ersten Blick. Doch diese Dreistigkeit ist natürlich ein Gleichnis: In der Kosmetikindustrie ist es nämlich ähnlich. Auf einem Parfum steht bei den Zutaten oft nicht viel mehr als „Parfum (Fragrance)“. Danke für nichts! Denn hinter der Sammelbezeichnung kann sich alles Mögliche verbergen: Zitronenöl, Tiersekrete und jede Menge synthetischer Duftchemie.

Dieser Artikel stammt aus unserem aktuellen Dossier Green Biz – wie die Wirtschaft auf nachhaltige Lösungen und Wege in die Zukunft setzt

Radikal anders geht die Berliner Duftmarke Aer Scents vor. Auf den minimalistischen Verpackungen wird jeder einzelne Bestandteil des Dufts genau benannt. Firmen-Co-Chef Ted Young-Ing spricht daher auch mit dem Stolz eines Gründers, der es an einer Stelle mit Transparenz probiert, wo fast alle anderen sich bedeckt halten. Young-Ing, asketischer Kurzhaarschnitt, das geschliffene Englisch eines Diplomatensohns, hat auch keinen Grund, Geheimnisse aus den Inhaltsstoffen zu machen: Bei Aer Scents seien es ausschließlich Pflanzenextrakte. Allesamt mechanisch gewonnen, also nicht mit Chemikalien aus den Blüten, Blättern oder Wurzeln gelöst. „Wenn du Botaniker bist und unsere Zutatenliste ansiehst, erkennst du jede Pflanze.“

So entstehen die Düfte von Aer Scents. Bildquelle: Aer Scents

Das neueste Parfum aus der Manufaktur, „Accord No. 07“, etwa enthält als Hauptduftnote Auszüge aus der Iriswurzel, einer fürs Auge unscheinbaren Knolle aus der Toskana, die allerdings nach jahrelanger Reifung erstaunliche Gerüche hervorbringt. Irgendwas zwischen sonnengetrockneter Baumwolle und Blumenwiesenerde.

Außerdem mischen Young-Ing und Mitgründer Stefan Kehl bulgarische Rose, haitianischen Vetiver und Timut-Pfeffer als unterstützende Duftnoten bei. Man muss es betonen, weil es heute alles andere als selbstverständlich ist: Diese Parfums bestehen aus nichts anderem als in Alkohol gelösten ausgequetschten Pflanzen. Der Geruch kommt einzig aus natürlichen ätherischen Ölen. Die stecken zwar auch in vielen Massenmarkt-Düften, aber oft in minimaler Konzentration. Im Marketing werden sie dafür umso mehr betont.

Die Synthese des Wohlgeruchs

Kleiner Exkurs: Über Jahrtausende waren Mischungen natürlicher Pflanzenauszüge der übliche Weg, Parfums herzustellen. Mit der industriellen Revolution kam die Möglichkeit, Duftstoffe zu synthetisieren, die in der Natur entweder gar nicht vorkommen oder erst mühevoll aus Pflanzen, wenn nicht gar Tieren gewonnen werden müssen.

1912 entwickelte ein gewisser Robert Bienaimé einen Duft namens „Quelques Fleurs“. Das war eine Untertreibung, denn das Produkt riecht eher wie der gesamte Blumenladen. Der Name ist dabei nicht nur Untertreibung, sondern auch Ablenkung. Denn Bienaimés „Einige Blumen“ sind der Beginn des synthetischen Parfums. Sie enthalten neben Pflanzenauszügen im Labor hergestellte Aldehyde als Duftstoffe.

Die kann man ziemlich einfach gewinnen, indem man Alkohol die Wasserstoffatome entzieht. Die Aldehyde kommen zwar auch in Pflanzen vor, zum Beispiel in Zitrusbäumen. Aber um daraus den Duft zu gewinnen, muss man das Grünzeug erst mal ernten und dann umständlich verarbeiten. Die synthetischen Zitrusnoten sind übrigens auch im vielleicht berühmtesten Markenduft der Welt ein wichtiger Bestandteil: Chanel No. 5.

Ted Young-Ing und Stefan Kehl, Gründer der Berliner Parfummanufaktur. Bildquelle: Aer Scents

Für Young-Ing wird dieser Duft immer Erinnerungen an seine Mutter wachrufen. Daran, wie glamourös sie ihm erschien, wenn sie das Parfum vor dem Ausgehen aufsprühte. Der Designer war früher selbst für Gucci und Yves Saint Laurent tätig und lancierte mehrere Düfte für sie. In diesem Marktsegment sind synthetische Duftstoffe Standard.

Young-Ing verteufelt Duftstoffe aus dem Labor auch nicht. Aber wie riechen sie für ihn? „Schrill“, sagt er auf Englisch im Videocall, „headachy“ – kopfschmerzig. Synthetische Düfte müssen dabei gar nicht aufdringlich sein, wir alle sind von ihnen umgeben. Es ist Geschmacksfrage, was man lieber mag: Wenn man die Parfums mit Aer mit der Süße einer Frucht vergleicht, dann sind die synthetischen Klassiker so etwas wie eine Extradosis Cyclamat-Süßstoff. Oder wie Young-Ing sagt: Naturdüfte sind „wie eine Umarmung deines eigenen Dufts, synthetische wie eine Maske“.

Manche Stoffe sind in der EU verboten

Parfums sind nicht nur eine Frage des Geschmacks. „Duftstoffe sind mit einer Prävalenz von etwa vier bis zehn Prozent nach Nickel die zweithäufigsten Auslöser von Kontaktallergien, unabhängig davon, ob sie natürlichen oder synthetischen Ursprungs sind“, schreibt Rolf Daniels, Pharmazeut an der Uni Tübingen.

Weiter auf Seite 2: 26 Zutaten wie etwa Eichenmoos müssen deshalb in der EU auf dem Etikett aufgeführt werden.

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