Leadership & Karriere Muss ich mich am Abschiedsgeschenk der Kolleg:innen beteiligen?

Muss ich mich am Abschiedsgeschenk der Kolleg:innen beteiligen?

JA!

Donnerstags, kurz vor Feierabend. Man selbst schon seit einiger Zeit im Feierabendtief und weit in den Stuhl gesunken. Eine Mail ploppt auf: Jemand mir recht Unbekanntes aus dem Büro verlässt uns nach x tollen Jahren. Natürlich möchte man als Team, als Zeichen der Dankbarkeit, ein Geschenk zum Abschied überreichen, und einen Ausstand kommende Woche nach Feierabend soll es auch noch geben.

Anschließend die Frage in den Raum geworfen, was man schenken könnte. Bitte einmal die Köpfe zusammenstecken – aber wie wäre es denn mit einem Buch und einer Flasche gutem Wein? Okay, innovativ. Mir wird schnell klar, dass ich die Person aus diversen Gründen nicht wirklich kenne und mir nur ähnlich starke Ideen à la Mini-Strandliege für das Smartphone oder eine olle Grünlilie für die Fensterbank einfallen.

Aber ist es mir überhaupt wert, mich an solch einem Symbolgeschenk zu beteiligen, und habe ich wirklich die Kraft, Small Talk nach der Arbeit zu führen? Welchen Nutzen habe ich eigentlich davon? Immerhin geht’s für mich ja weiter wie gewohnt. Ich mache mich kundig, wohin er denn gehe, was er da mache und, ah, interessant, eine leitende Stelle? Bei denen? Toll! Als aufstrebender Angestellter mit ein paar Jahren Berufserfahrung ist schnell klar: Man trifft sich sicher noch einmal wieder.

Eine Investition in meine Zukunft sozusagen. Also schnell die obligatorischen 5 Euro über Paypal abgedrückt. Auf der Grußkarte unterschreibe ich extragroß, und beim letzten Get-together werden wir das Gespräch führen, das wir nie geführt haben. In der Hoffnung, dass ich ganz doll in seinem Gedächtnis verankert bleibe. Denn wer weiß, was es mir noch bringt?

von Benjamin Lewin

NEIN!

Schwach und bemitleidenswert sind alle, die nicht standhaft bleiben können. Wer für den oder die scheidende Kolleg:in zum Abschied noch schnell das Portemonnaie aufmacht und einen Ablass-Fünfer in den Hut wirft, wird auch auf dem Sterbebett noch religiös. Ich lebe danach, dass Arbeitsfreundschaften Zweckverhältnisse sind.

Nettes, geselliges Miteinander? Aber sicher! Small Talk im Aufzug? Immer her damit, ich kenne mehr Wetterfloskeln als Fräulein Smilla Wörter für Schnee. Aber den albernen, zeitverschwendenden Eiertanz in den Slack-Gruppen, in denen man sich Gedanken um Abschiedsgeschenke macht? Nein, danke. Ich habe Besseres zu tun. Und wo die Grenze ziehen? Wer bekommt den Massage-Gutschein, wer höchstens einen Schulterklopfer zum Abschied?

Als ich vor einigen Jahren in einem Startup arbeitete, war die Fluktuation so hoch, dass man ein Drittel seines Gehalts allein in Abschiedsgeschenke gesteckt hätte, wenn es nach der rührigen Office-Managerin gegangen wäre, die alle paar Tage per Mail mit dem Klingelbeutel rumkam. Wir haben uns dann folgende Lösung überlegt: billige, von Spreadshirt geholte T-Shirts mit den auf die Brust gedruckten Kürzeln „DTMO“ oder „FOOP“, die wir den Wechselnden mitgeben würden.

Dabei orientierten wir uns an den Floskeln der Chefetage, die uns über personelle Veränderungen in Kenntnis setzte: „DTMO“ stand für „decided to move on“ und „FOOP“ für „focus on other projects“ – zwei herrliche Beschreibungen dafür, dass Menschen ihren Aufgaben nicht gewachsen waren und jetzt den Laden verlassen mussten. Leider wurde diese praktische Idee nie umgesetzt. Vielleicht findet sie ja hier einen anderen Mutigen.

von Sean Oettler

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 4/22. Gregor Gysi, Claudia Obert und die Tiktokker Elevator Boys haben mit uns über Geld gesprochen. Außerdem haben wir Streetwear-Legende Karl Kani getroffen und unseren Reporter Dolce Vita auf der Modemesse Pitti Immagine Uomo genießen lassen. Hier geht es zur Bestellung – oder ihr schaut am Kiosk eures Vertrauens vorbei.

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