Innovation & Future So hat Mark Constantine die Kosmetikkette Lush zum Weltkonzern aufgebaut

So hat Mark Constantine die Kosmetikkette Lush zum Weltkonzern aufgebaut

Kritikfrei bleibt Lush allerdings nicht. Von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einer Düsseldorfer Filiale wurden die Arbeitsumstände bemängelt. In einer „taz“-Recherche aus dem Jahr 2020 ist die Rede von Schlampigkeit und toxischen Chemikalien, denen die Angestellten ausgesetzt seien. In anderen Berichten heißt es, die Angestellten stünden unter enormem Druck, so viele Produkte wie möglich zu verkaufen.

Im Gespräch scheint Constantine die Kritik nicht revidieren zu wollen, im Gegenteil, er finde es gut, dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Mund aufmachten. „Wir haben einige der nettesten Kollegen der Welt, aber sie sind kein Firmeneigentum. Wenn sie also Kritik äußern, ist es unsere Aufgabe, aufmerksam zu sein und die Sache in Ordnung zu bringen“, so Constantine.

Bye, bye Social Media

Er betont, dass nicht in jedem Unternehmen eine Kultur herrsche, in der die Mitarbeitenden all dies äußern dürften. Gegen die toxischen Chemikalien wurde in den Filialen ein Ventilationssystem eingebaut, auf Druck der Mitarbeitenden ein Retail-Support eingerichtet, wie es 2021 in einer Recherche vom „Handelsblatt“ hieß. Und um die Läden sollte sich Constantine tatsächlich besonders gut kümmern, da sie der zentrale Touchpoint mit der Lush-Kundschaft sind. Denn 2021 wagte Lush einen mutigen Schritt: Sie haben sich von Social Media verabschiedet. Der Instagram-Account existiert zwar noch, allerdings ist dort nur der Slogan „Be somewhere else“ zu lesen.

Eine bewusste Entscheidung, die von Constantine selbst getroffen wurde. Er sehe die Gefahr, die Social Media gerade für junge Menschen darstelle. In Großbritannien sollen rund 14 Prozent der Frauen schon Selbstmordgedanken wegen Social Media gehabt haben, sagt er. Was verfälschte Lebensrealitäten auf Instagram und Co mit Nutzerinnen und Nutzern anstellen können, wissen wohl mittlerweile alle. „Wir hatten keine Wahl. Es geht um Mitgefühl und Fürsorge. Das sollte bei allem, was wir tun, im Mittelpunkt stehen“, so Constantine.

Für einige möge das Verbannen von Social Media rückschrittig wirken, was den CEO nachdenklich stimme, wie er sagt: „Manchmal mache ich mir Sorgen, dass wir es uns zu schwer machen. Auf der anderen Seite macht uns das eher zu Anführern als zu Mitläufern.“ An Überzeugung mangelt es ihm seit jeher nicht.

Er lag ja bereits in der Vergangenheit oft richtig, wenn es um zukunftsgewandte Trends und Entscheidungen ging. Wenn Constantine etwas anders sieht als andere, sollte man unbedingt aufmerken.

Unangefochtener Vorreiterstatus?

Doch was passiert, wenn ein Weltkonzern in der Kosmetikbranche keine Möglichkeit mehr hat, Marketing auf Social Media zu schalten? Genau da, wo eine riesige potenzielle Kundschaft unterwegs ist. Constantine sieht das weniger kritisch, er vertraue auf den good old Face-to-Face-Handel, sagt er: „Ich denke, dass man beim Einkaufen von Produkten gerne von Angesicht zu Angesicht beraten wird.“ Zumindest in der Filiale in Berlin scheint das zu funktionieren, hier gehen an einem ungemütlichen Herbsttag innerhalb von fünf Minuten zehn Menschen ein und aus. Und sie gehen direkt auf die Mitarbeiterinnen zu.

Auch an anderer Stelle wird Lushs Vorreiterstatus deutlich: 2020 gaben in einer Nachhaltigkeitsstudie vom Verband der Vertriebsfirmen Kosmetischer Erzeugnisse (VKE) nur sieben Prozent der befragten Unternehmen an, sich selbst als nachhaltig zu bezeichnen. Selbstkritik ist in der Branche also vorhanden – und die Mitglieder sehen dringenden Handlungsbedarf in Sachen Nachhaltigkeit. Zudem wolle die überwiegende Mehrheit der befragten Unternehmen laut „Handelsblatt“ ihre Maßnahmen in Bezug auf Nachhaltigkeitsprojekte weiter erhöhen.

Doch Constantine scheint wenig Vertrauen in die Industrie und ihre Unternehmen zu haben. Es ist immerhin eine Branche, die seit jeher vom schönen Schein und heißer Luft lebt. Der Gründer sagt: „Von der Schönheitsindustrie erwarte ich nichts anderes als das Übliche. Es gibt so viel Bullshit, und das war schon immer so. Erwarte ich jetzt eine Veränderung der Industrie? Nein.“ Und er geht noch einen Schritt weiter: „Die Industrie ist mir egal. Ich sorge mich um die Menschen, die die Produkte verwenden und falsch informiert sind. Das ist mir wirklich wichtig.“

Er ist bemüht, die Kritik seiner Mitarbeitenden umzusetzen und Läden zu schaffen, die nicht nur ein Einkaufserlebnis bieten, sondern auch für die Menschen, die dort arbeiten, eine positive Umgebung sind.

Aber das ist nicht die einzige Herausforderung, die er noch bewusst sucht: „Ich fühle mich ein bisschen wie Frodo mit seinem Ring. Ich möchte den Ring abnehmen, aber stecke ihn immer wieder an.“ Verlässt Constantine Lush doch in den kommenden Jahren, werden seine Kinder übernehmen können, alle drei arbeiten bereits bei Lush. Wann das passiert, weiß eben niemand so genau. „Meiner Erfahrung nach braucht man im Geschäftsleben nur eine einzige Fähigkeit – und das ist Ausdauer“, sagt Constantine. Zugegeben: Die Ausdauer hat diesen Unternehmer noch längst nicht verlassen.

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 5/22. Wir haben 7 Hot Takes zur Karriere von morgen, die euch Feuer geben, ohne dass der Burnout droht. Außerdem: iPod-Macher Tony Fadell über Parties mit Steve Jobs, ferngesteuerte Spermien, Lush-Seifenoper mit Gründer Mark Constantine. Hier geht es zur Bestellung – oder ihr schaut am Kiosk eures Vertrauens vorbei.

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