Innovation & Future „Jeder hat das Recht auf Gesundheit“ – die Gründer:innen von Aera Health im Interview

„Jeder hat das Recht auf Gesundheit“ – die Gründer:innen von Aera Health im Interview

Sich um die eigene Gesundheit zu kümmern, kann lästig sein. Termine machen, für die man teilweise Monate Wartezeit hat. Und dann auch noch ewig mit anderen erkrankten Menschen im Wartezimmer hocken. Wirklich angenehm ist das alles nicht. Andrea Gartenbach und Tim-Ole Pek wollen das ändern. Sie wollen das Thema Gesundheit zugänglicher machen, für alle in den Alltag integrieren.

Dafür haben die beiden das Startup Aera Health in Basel gegründet. Die Vision ist es, das Gesundheitswesen im deutschsprachigen Raum durch Präventivmedizin grundsätzlich zu verändern. Health-Care soll überall stattfinden. Im Büro, im Fitnessstudio, in der Einkaufsmall. Im März konnte das Startup in einer Pre-Seed-Finanzierungsrunde 4 Millionen Euro einsammeln. Im April hat es seinen ersten Standort in München eröffnet.

Im Interview haben uns Andrea Gartenbach und Tim-Ole Pek erzählt, wie sie personalisierte Gesundheitspläne schaffen und warum wir uns mehr auf Health-Care, weniger auf Sick-Care, konzentrieren müssen.

Andrea, du bist promovierte Medizinerin und hast letztes Jahr dein eigenes Startup gegründet. Warum dieser Schritt?

Andrea: Für mich war immer klar, dass ich eine fundierte, medizinische Grundausbildung brauche. Ich war drei Jahre Oberärztin, Ärztin in einer hausärztlichen Praxis und habe lange Intensiv-, Notfall- und Palliativmedizin gemacht. Das medizinische Wissen ist ein wertvolles Fundament für mich. Aber die klassische Medizinerkarriere ist nicht ausreichend, um meine Vision der Medizin zu erfüllen.

Dafür hast du dich mit Tim zusammengetan. Tim, du bist Betriebswirt, warum ein Health-Startup?

Tim: Ich glaube, es ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir die medizinischen Erkenntnisse, die wir haben, einer breiteren Masse zur Verfügung stellen sollten. Ich habe in kurzer Zeit viele Menschen an Krankheit verloren. Ich habe mich viel damit beschäftigt, wie das sein kann. Klar, Erkrankungen gehören dazu, aber wir können nicht mit unserer Gesundheit so umgehen, dass wir davon ausgehen müssen, dass wir krank werden.  

Inwieweit lebt unser Gesundheitssystem uns aber genau das vor?

Andrea: Das System ist das Problem. Das Feuer wird gelöscht, wenn es brennt. Es geht um das nicht vorhandene Angebot im Rahmen der medizinischen Möglichkeiten. Wir sind der Meinung, dass jeder ein Recht auf Gesundheit hat. Dass jeder ein Recht darauf hat, Gesundheit in Anspruch nehmen zu können. Und dabei Hilfe bekommt. Wir haben alle andere Ressourcen im Leben, andere Möglichkeiten, sei es finanziell oder beruflich.

Tim: Es ist fast paradox, weil man eigentlich sagt, dass Deutschland und Europa die Aushängeschilder für ein starkes soziales System sind. Es ist eigentlich gut durchdacht. Aber das Thema der Prävention ist unterernährt.

Was macht ihr mit Aera Health, um diesen Zustand zu ändern?

Andrea: Wir haben zwei unterschiedliche Wege: einen physischen und einen digitalen. Zum physischen Weg: Wir schaffen Orte, an denen die eigene Gesundheit im Mittelpunkt steht. Wir testen und können auf Basis eines ganz persönlichen Gesundheitsplans therapieren. Zum Beispiel in Partner-Praxen und Plug-in-Orten. Jeder muss erstmal selbst verstehen: Wer bin ich und was habe ich für Ressourcen. Dafür füllt man am Anfang einen Fragebogen aus und durchläuft anschließend ein Testing, das sogenannte Health-Profiling, um einen individualisierten Health-Plan zu generieren. 

Welche Themen enthält der Fragebogen?

Andrea: Der erste Fragebogen gibt uns über alle Lebensbereiche einen Überblick, eine Art grobe Triage. Dann wird je nach Fokusthema in die Tiefe gegangen, weit über das hinaus, was eigentlich üblich ist. Zum Beispiel: Essgewohnheiten, Sport, Verdauung, Hormone. Das nehmen wir alles auf und erstellen ein Risikoprofil. Danach bieten wir den Kundinnen und Kunden verschiedene Wege an und begleiten sie digital. Von DNA- und Biomarker-Analysen über AI-Tools bis hin zum Full-Service-Paket. 

Tim: Es ist ganz wichtig zu verstehen, dass die personalisierte, präventive, präzise und partizipative Gesundheit nur funktioniert, wenn man das gemeinsam angeht. Das Wesentliche ist, die Verortung gemeinsam vorzunehmen.

Und diese Verortung findet an euren Standorten statt. Wie kann man sich diese Orte vorstellen?

Tim: Wir haben ein Toolkit geschaffen. Dieses Toolkit können wir in Räume stellen, die wir selbst bedienen oder an Orte geben, die von anderen betrieben werden. Wir können mit unserem Angebot zum Beispiel im Gym physisch auftreten, wie ein kleiner Shop, in dem man auf ausgebildetes Personal trifft. Diese Form der neuartigen Praxis soll an unterschiedlichen Orten funktionieren.

Andrea: Gesundheit ist erst dann wirklich nachhaltig, wenn es in das Leben integriert und selbstverständlich zugänglich ist, ohne dass man dafür viel Zeit aufwenden muss. Wir bieten einen Fahrplan, der überall einsetzbar ist.

Wir müssen uns also vom klassischen Bild der Arztpraxis verabschieden.

Andrea: Absolut korrekt. Arztpraxen konzentrieren sich vorwiegend auf Sick-Care. Wir müssen uns das Verständnis für Health-Care erlauben dürfen.  

Tim: Mir ist nicht klar, warum nicht jedes Büro der Welt heute einen Bereich hat, in dem es therapeutisches Equipment und die Maschinerie gibt, die dazu beiträgt, dass die Mitarbeitenden einen Zugang zur schnellen Regeneration haben.

Einige große Unternehmen haben zumindest schon ihre eigenen Fitnessstudios.

Andrea: Die sind aber nicht verknüpft mit dem, was man persönlich braucht. Man macht dann irgendwas, aber es ist nicht vollwertig. Wir reden auch von Ernährung, Stressmanagement, Regenerierung. Wir leisten alle jeden Tag nur, aber vergessen zu regenerieren. Wir brauchen Orte, an denen wir das alles integrieren.

Das fordert viel Einsatz und Aufwand. Wie finanziert ihr euer Angebot?

Tim: Wir suchen und finden Investorinnen und Investoren, die das sehen, wovon wir sprechen und fühlen, dass es notwendig ist. Das werden wir auch so weitermachen. Um systemisch anzuschieben, brauchen wir nicht nur einen langen Atem, sondern auch Power finanzieller Natur.

Bleiben wir beim Thema Geld: Euer Angebot richtet sich gerade an Besserverdiener:innen. Was ist mit denen, die nicht viel Geld übrig haben?

Tim: Wir wollen es für die machen, die sich in unserem Umfeld befinden. Dementsprechend ist es ein großes Ziel, das Angebot zu demokratisieren. Das soll nicht idealistisch klingen. Aktuell sind die Gutverdienenden unsere Zielgruppe, aber unsere Stoßrichtung ist, das Angebot mehr Menschen zur Verfügung zu stellen. Deshalb sollen unsere digitalen Schnittstellen von den gesetzlichen Krankenkassen mitgetragen werden können. 

Wie sieht eure langfristige Vision für Aera Health aus?

Andrea: Aus der Emotion heraus möchte ich, dass Gesundheit an möglichst vielen Orten für viele, idealerweise alle Menschen erreichbar ist.

Tim: Ich möchte ein Gebäude schaffen, in dem Gesundheit Teil der Infrastruktur ist. Und es soll nicht mehr diese Trennung zwischen „gesund sein“ und „krank sein“ geben, sondern man soll verstehen, dass alles, was wir tun, unmittelbaren Einfluss darauf hat, wie man sich fühlt und wie man lebt. Wir wollen dafür die Lösung schaffen: eine B2B2C-Plattform, die eine Anlaufstelle für Medizinerinnen und Mediziner sowie Kundinnen und Kunden ist. 

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