Life & Style DJ Joyce Muniz: „Ich wünsche mir weniger Hype und mehr Kunst“

DJ Joyce Muniz: „Ich wünsche mir weniger Hype und mehr Kunst“

São Paulo, Wien, Berlin: DJ und Produzentin Joyce Muniz ist an vielen Orten zu Hause – all diese Einflüsse hat sie jetzt in einem Album verarbeitet.

Joyce, du bist in der Metropole São Paulo und in Wien in einer Künstlerfamilie aufgewachsen. Seit wann ist die elektronische Musik Teil deines Lebens?

Mein Onkel war Choreograf und hat mich als Kind immer viel auf Events mitgenommen, genau wie meine Mum. Bis ich zwölf war, haben wir in Brasilien gelebt, dort habe ich auf den Partys immer unter den Tischen gepennt. Mit 16 Jahren habe ich angefangen, selbst Platten zu sammeln. Mit 17 hatte ich meinen ersten Gig in Wien. Das ging alles sehr schnell. Dieser erste Gig lief so gut, dass ich schnell Resident im Club wurde.

Hattest du von klein auf den Traum, DJ zu werden?

Ein Traum war es nicht. Elektronische Musik war damals noch nicht so populär. Du konntest die Musik nur besitzen, wenn du die Vinyls kaufst. Es gab kein Youtube oder Soundcloud. Deshalb war der Zugang ganz anders. Die Musik war noch richtig Underground.

Hast du trotzdem von Anfang an elektronische Musik gespielt?

Ich habe alles gespielt, Hip-Hop, Electro, Techno. Sehr bunt gemischt. Aber ich bin in die elektronische Musik hineingewachsen. Jede Woche habe ich andere Headliner gesehen. Das hat meinen Horizont schnell erweitert.

Deine Tracks sind bekannt für Vocals. Was reizt dich daran?

Irgendwann war ich betrunken genug, um das Mikro in die Hand zu nehmen und während meines Sets auf Portugiesisch zu MCen. Da ist der Wiener Produzent Stereotype auf mich zugekommen und hat gefragt, ob ich nicht mal im Studio vorbeikommen mag. So bin ich zu den Vocals gekommen, habe meine Stimme für viele Produzenten vergeben. Ich war ihre Vokalistin. Irgendwann hast du angefangen, selbst zu produzieren.

Wieso?

Ich habe mit diesen ganzen Produzenten abgehangen und mir irgendwann gedacht: Ich möchte meine eigenen Beats machen. Ich war Anfang 20 und fand House interessant. Durch House konnte ich technoider, afroider und deeper sein. Deswegen habe ich vor allem House produziert. Und ich habe von Anfang an als Produzentin mit anderen Vokalisten zusammengearbeitet.

Du lebst immer noch in Wien, seit 2016 ist Berlin deine zweite Residenz. Was hat Berlin, was Wien nicht hat?

Ich wollte nie nach Berlin ziehen. Aber ich fühlte mich in Wien mit dem, was ich mache, allein gelassen. Es gab nicht viele Menschen, die das Gleiche machten wie ich. Es gab keinen Austausch, den jeder Musiker für seine Entwicklung braucht. Außerdem hatte ich in Berlin bereits mein Management, meine Bookingagentur, Kollegen und Freunde. Für meine Karriere war es wichtig, nach Berlin zu kommen. Berlin war für mich immer dieses kreative Chaos.

Und das ist Berlin jetzt nicht mehr für dich?

Doch, das ist es nach wie vor. Aber es ist auch wichtig, da rauszukommen. Mein Studio habe ich immer noch in Wien. Da sperre ich mich gerne mal für zwei Wochen ein. Beide Städte sind extrem wichtig für mich. In Berlin bekomme ich den Input, in Wien die Ruhe.

Wie oft bist du in deiner Heimat Brasilien?

Ich versuche, einmal im Jahr da zu sein. Meistens verbinde ich das mit einer Tour. Die Menschen dort sind sehr dankbar, wenn ich dort spiele. Für die Brasilianer bin ich ein Export. Ich fühle mich dort sehr geborgen. Das ist wahnsinnig schön. Du bist also sehr viel unterwegs.

Wie schafft man es, Struktur in diesen Alltag zu bringen?

Bei mir ist alles genau getimt. Das geht sonst gar nicht anders. Ohne Disziplin geht es nicht. Ich kann zum Beispiel nicht nach einem Gig ins Studio gehen. Meine Ohren sind dann verbraucht. Wenn man drei Tage spielt, braucht man erst mal zwei Tage Pause – Ohrenpause. Ich höre auch so keine Musik, habe gerade nicht mal Kopfhörer dabei.

Du hörst also keine Musik in deiner Freizeit?

Wenn ich morgens aufwache, mache ich das Radio an. Ich höre sehr gerne Radio, weil es für mich Unterhaltung ist. Es läuft im Hintergrund, wenn ich mein Frühstück vorbereite. Wenn ich spazieren gehe, genieße ich einfach den Sound der Natur. Ich brauche nicht ständig Musik.

Sprechen wir über dein neues Album „Zeitkapsel“. Was bedeutet dir dieser Titel?

Ich habe meine Stimme schon immer für viele andere Positionen hergegeben. Und auch viele verschiedene Musikstile gespielt. Ich hatte schon immer den Gedanken, aus meinem gesamten musikalischen Werdegang ein Album zu machen. Das hat lange gedauert, weil ich mich immer gefragt habe, ob ich dafür bereit bin, ob ich die Sensibilität dafür habe.

Zwölf Tracks auf einem rhythmischen Clubalbum „Zeitkapsel“

Warum hast du daran gezweifelt?

Ich komme nicht aus einem Konservatorium. Ich habe Musik nie gelernt. Ich habe einfach mit meinen Beats angefangen. Ich möchte nichts kopieren, was schon existiert. Ich möchte alles in meine Form umsetzen. Jeder Track ist anders und hat seine eigene Geschichte. Das war mir wichtig.

Du warst zwar nicht auf einem Konservatorium, hast aber eine klassische Ausbildung zur Hotelfachfrau gemacht.

Meine Mum meinte immer, sie supportet mich mit meinem Hobby, wenn ich meine Ausbildung zu Ende mache. Ich habe am Anfang parallel zur Musik auch noch in Bars gearbeitet, bin aber schnell ins Musikmachen reingerutscht. Meinen letzten Job in der Gastronomie hatte ich bereits 2009.

Seitdem kannst du also von deinem Dasein als Musikerin leben. Willst du das auch für dein restliches Leben?

Klar frage ich mich, wie lange ich noch diese Energie haben werde. Aber solange ich hören kann und fit bin, werde ich das so weitermachen. Es muss natürlich gut laufen, dafür muss ich mich als Künstlerin immer weiterentwickeln. Darum mache ich mir noch keine Gedanken. Ich habe das Gefühl, gerade geht es erst richtig los.

Welches Projekt kommt nach „Zeitkapsel“?

Ich habe schon zwei Releases, die nach meinem Album kommen. Ich möchte an meinem eigenen Liveprojekt arbeiten. In den letzten 20 Jahren ist so viel passiert, ich werde sicher nicht auf der Strecke bleiben. Ich bin offen für alles.

Was wünschst du dir in Zukunft von der Musikindustrie?

Ich wünsche mir weniger Social Media, weniger Hype und mehr Kunst. Das ist mein Traum. Ich weiß nicht, ob das passiert. Aber wer weiß, vielleicht geht alles irgendwann wieder zu seinem Ursprung zurück.

Da ist das Ding! Dieses Mal dreht sich in unserem Dossier alles um das Thema Immobilien und den Traum vom Eigenheim. Außerdem haben wir Netflix-Showrunnerin Anna Winger getroffen und die Brüder Ahmed und Mike Chaer, die deutsches Wrestling groß machen wollen. Viel Spaß beim Lesen! Hier gibt es das Magazin zum Bestellen.

Das könnte dich auch interessieren

Mehr Bahn für alle – was dieser Slogan noch für eine Bedeutung hat Life & Style
Mehr Bahn für alle – was dieser Slogan noch für eine Bedeutung hat
Die Kunst der Wertschätzung: Warum Glimmer-Momente so wichtig sind Life & Style
Die Kunst der Wertschätzung: Warum Glimmer-Momente so wichtig sind
Flexibilität macht krank? Life & Style
Flexibilität macht krank?
Endlich vorbei! Wie wir nach dem “Dry January” eifrig weiter trinken Life & Style
Endlich vorbei! Wie wir nach dem “Dry January” eifrig weiter trinken
Thomas Jensen: „Mittlerweile ist Wacken vergleichbar mit einem Feiertag“ Life & Style
Thomas Jensen: „Mittlerweile ist Wacken vergleichbar mit einem Feiertag“