Leadership & Karriere Vorsprung durch hässlich: Dandy Diary ist Deutschlands exzentrischster und klügster Modeblog

Vorsprung durch hässlich: Dandy Diary ist Deutschlands exzentrischster und klügster Modeblog

Dabei hat es vergleichsweise normal begonnen. Als David Roth, damals noch Modestudent in Berlin, 2009 Dandy Diary startete, ging es tatsächlich vor allem um Mode und ums Aussehen. „Look du Jour“ nannte Roth seine von befreundeten Fotografen geschossenen Bilder, die ihn in immer wechselnder, über die Wochen jedoch in rasantem Tempo immer obskurer werdender Klamotte zeigten:

Look du Jour Nummer 5: David Roth in klassischem Dreiteiler, mit halblinker Lederjacke mit Pelzkragen und klassischer Sonnenbrille.

Look du Jour 24: David Roth mit verwildertem Bart, zertretenen Lederstiefeln, Lederarmbändchen und zerrissenem Strohhut – Clochard-Look.

Look du Jour 71: David Roth mit einem Hut, wie ihn jüdische Orthodoxe tragen, mandyrot gefärbten Schläfenlocken und Palästinensertuch, der Nahostkonflikt als Outfit.

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Wenn es sein muss, tragen die Dandy-Diary-Boys auch mal Anzug. Aber natürlich nicht klassisch.

Je näher man Dandy Diary kommt, je länger man sich mit Roth und Haupt, der ­Politikwissenschaft studiert hat und 2010 zu Dandy Diary stieß, auseinandersetzt, desto mehr drängt sich der Eindruck auf: Das Modeblog ist nur das Frontend für etwas ganz anderes, sehr viel Bedeutenderes. Ist Dandy Diary vielleicht gar kein Modeblog – sondern eine wahnsinnig komische, sehr kluge Real-Life-Kunstinstallation, die die Menschen dort abfängt, berührt und erwischt, wo sie – jeden Morgen vor dem Spiegel wieder hadernd – verletzlich sind. Nämlich bei der Frage: wer man ist und wie man dem Rest der Menschheit eigentlich entgegentreten will? Arbeitet Dandy Diary vielleicht an einer Art Marcel-Duchamp-Moment, ganz im Sinne des französischen Readymade-Künstlers? Dem Punkt, ab dem Schönheit, Stilsicherheit, Anstand und Konventionen auch in der Mode nichts mehr gelten – sondern allein die eine, neue Idee in all ihrer Radikalität?

Haupt zuckt wieder mit den Achseln: „Wir sind einfach schnell gelangweilt und gehen deswegen einen Schritt weiter“, sagt er. Roth und er wollen, salopp formuliert, Stress machen. Aber nicht: ohne Grund provozieren. „Provokation ist kein Selbstzweck für uns, sondern nur Teil einer Inszenierung. Provokation finde ich nicht spannend. Es muss auch etwas geben, über das man spricht, wenn man einmal hingeschaut hat.“

Und natürlich gibt es auch Aktionen, die nicht funktionieren. Wo selbst Roth und Haupt vor dem eigenen Irrsinn zurückschrecken. Manchmal buchstäblich in der letzten Sekunde. Im vergangenen Jahr etwa. Da standen Haupt, Roth und ein Kleinlaster mit einer drei mal vier Meter großen, eigens angefertigten Primark-Tüte vor der Filiale der Modekette am Berliner Alexanderplatz. Die Tüte war von einem Pyrotechniker mit einem Fernzünder versehen und mit Schwarzpulver vollgestopft worden. Der Plan: anlässlich des Jahrestages des Einsturzes des achtstöckigen Sweatshops Rana Plaza im bangladeschischen Sabhar die große Tüte mit einem Knall zum Brennen zu bringen. Roth und Haupt überlegten lange, ob sie den Zünder auslösen sollten oder nicht. Am Ende drehten sie ab, fuhren den Kleinlaster wieder vom vollgepackten Platz vor Primark und entzündeten die Tüte in einem Kreuzberger Hinterhof. Richtige Entscheidung: Die Tüte brannte sehr, sehr heiß.

Auf in die sexy Kunstwelt

Dandy Diary hat im Modezirkus quasi alles erreicht. Was also anstellen mit der Reichweite, dem Fame, der Aufmerksamkeit. Haupt bleibt entspannt: „Wir haben nie so richtig Ziele. Es gibt nicht diesen Plan: Wir wollen in zwei Jahren das oder das erreicht haben. Wir schauen, welcher Ball kommt. Und den hauen wir dann mit Wucht zurück.“

Ein ziemlich großer Ball rollt Roth und Haupt gerade aus ihrer Heimat entgegen. In Kassel findet ab Juni die documenta 14 statt, Selbstbeschreibung: „weltweit größte Ausstellung zeitgenössischer Kunst“. Zurückhauen also, mit Wucht. „Die Kunstbranche ist sexier als die Mode“, sagt Haupt. Aber fehlt der documenta nicht eine wirklich sexy Opening-Party?

Und danach? Haupt stutzt kurz. „Religion ist ein Thema, das mich interessiert. Da würde ich mich gerne mit befassen“, sagt er. „Ich würde gerne mal eine große Kooperation mit einer Kirche machen.“ Klingt absolut realistisch. Ganz im Ernst.

Der Artikel stammt aus der Ausgabe 02/2017 der Business Punk. Titelgeschichte: “Berlin. Deutschlands überschätzteste aufregendste selbstverliebteste ehrgeizigste Startup-Szene.“ Mehr Infos gibt es hier.

 

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