Innovation & Future Blinkist: „Wir wachsen nur noch zweistellig“

Blinkist: „Wir wachsen nur noch zweistellig“

Text: Andrzej Rybak

In den Großraumbüros von Blinkist im Berliner Stadtteil Neukölln herrscht gähnende Leere, selbst im Juni sorgt die Pandemie noch dafür, dass die 150 Mitarbeiter:innen im Homeoffice bleiben. Nur Holger Seim, Geschäftsführer und Mitgründer des Startups, ist eigentlich immer da. Auch wenn der 36-Jährige sagt, dass er sich die voll besetzten Räume zurückwünscht, findet er doch derzeit das vor, was seine Vision unterstützt: allerbeste Leseatmosphäre.

Er sitzt an einem Couchtisch und blättert in ein paar Büchern, die er aus dem Firmenregal geholt hat. Auf ein Whiteboard im Hintergrund hat jemand die Entwicklung des Unternehmens seit der Gründung 2012 gemalt. „Wir haben mit 50 Titeln angefangen, zuletzt hatten wir 4 000 Titel und 650 000 zahlende Kunden“, sagt Seim. Die Pandemie hat das Wachstum etwas ausgebremst: „Seitdem die Leute nicht zur Arbeit pendeln, geht der Konsum von Podcasts zurück – und wir wachsen nur noch zweistellig.“

Foto: Florian Bachmeier für BUSINESS PUNK

Nur noch zweistellig? Klingt für ein fast zehn Jahre altes Unternehmen nach Luxusproblem. Und immerhin gehört Blinkist zu den Stars der deutschen Startup-Szene. Das allerspätestens, seit Apples CEO Tim Cook 2019 das Unternehmen besuchte. Das Prinzip hinter Blinkist ist eigentlich einfach: Der Inhalt von Sachbüchern wird zusammengefasst, die Texte oder Audioversionen anschließend über eine Smartphone-App zahlenden Abokund:innen zur Verfügung gestellt.

Die Idee an sich war nicht besonders revolutionär, es gab schon damals Dienste, die Kurzfassungen von Wirtschaftsbüchern lieferten. Die allerdings waren für das Web konzipiert und boten auch kein Audioformat an. „Wir gehörten zu den Ersten, die Podcast-Form in Deutschland 2014 auf den Markt brachten“, sagt Seim. Heute hat Audio bei Blinkist den Bereich Text weitgehend zurückgedrängt, rund 80 Prozent der Nutzer:innen greifen zum schnellen Schuss Wissen auf Podcasts zurück.

In der Blinkist-Bibliothek finden Kund:innen Sachbücher aus verschiedenen thematischen Bereichen: Politik, Wirtschaft, Philosophie, Umwelt, Gesundheit, Technik und Ratgeber mit dem Fokus auf Selbstoptimierung. Bei der Auswahl orientiert sich Blinkist an den Bestsellerlisten von „Spiegel“ und „New York Times“, aber auch an Verkaufszahlen von Amazon.

Blinkist ist das Appetithäppchen

„Dahinter steht kein schlauer Algorithmus, sondern altmodische Datenanalyse“, sagt Seim. Die Podcasts, auch Blinks genannt, sind 15 bis 30 Minuten lang und geben den Hörer:innen einen Überblick über den Buchinhalt. Ein Abo kostet in Deutschland 13 Euro im Monat oder 80 Euro im Jahr.

Interessant ist das Wechselspiel zwischen Blinkist und dem Publishing-Markt. Denn viele Verlage hatten befürchtet, die App könne das Buchgeschäft kannibalisieren. Gerade auch, weil man als Käufer:in von Sachbüchern oft ärgerliche, unnötig aufgeblähte 250-Seiten-Werke ersteht, deren Inhalt tatsächlich auf knackige 20 Minuten runtergebrochen werden kann. Die Hoffnung aus Leser:innensicht: Blinkist könnte hier eine nötige Ausdünnung herbeiführen.

Doch inzwischen sind die Ängste der Branche Zuversicht gewichen: Dank der Podcasts lesen 41 Prozent der Blinkist-Kund:innen mehr Bücher, wie eine Umfrage zeigt. „Wir wecken Neugier“, sagt Seim. „Blinkist ist das Appetithäppchen, das Leute animiert, das ganze Buch zu lesen.“ Dabei verletzt das Format der Blinks kein Urheberrecht, denn das Startup kreiert eigene, losgelöste Inhalte. Dennoch haben die Berliner Verträge mit großen Verlagen geschlossen – dafür können sie Buchumschläge zeigen, Originalzitate nutzen und mit Autor:innen direkt arbeiten.

Das Angebot der Firma ist dabei natürlich auch wie gemacht für die FOMO-Gegenwart, in der mitreden können Gold ist. Blinkist könne allerdings keine fachlichen Kompetenzen oder tiefes Wissen vermitteln, stellt Seim klar. „Wir sind kein One-Stop-Shop für Wissen! Wissen braucht Zeit, es kann nicht beschleunigt werden.“

Blinkist setze stattdessen auf Edutainment, ein wenig Bildung, ein wenig Unterhaltung. „Wir versuchen, die Lust am Lernen und der Weiterbildung zu entfachen, die Leute zu inspirieren, ihre Horizonte zu erweitern – wie manche gute Lehrer in der Schule.“ Wissensaufnahme soll so im Alltag stattfinden, Lernen zur Gewohnheit werden.

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