Innovation & Future Wie in Kiel die Aquakultur der Zukunft entsteht

Wie in Kiel die Aquakultur der Zukunft entsteht

Daten in Echtzeit

Seit knapp einem Jahr arbeiten sie nun mit dem KI-gestützten Kamerasystem. „Wir sind noch in der Testphase, aber wenn sich das System als zuverlässig herausstellt, kann das nicht nur für uns, sondern die gesamte Branche ein Durchbruch sein“, sagt Wecker. Echtzeitdaten über die Entwicklung der Tiere zu haben ermöglicht noch mehr Präzision und Optimierung in Zucht und Fütterung. Da Garnelenkörper transparent sind, kann das System auch beim Gesundheitsmanagement helfen. Probleme im Darmtrakt, Katarakte auf den Augen, angeknabberte Fühler- und Schwanzpartien. All das zeichnet die Kamera auf.

Bert Wecker, Geschäftsführer der Förde Garnelen. Foto: Evgeny Makarov FÜR BUSINESS PUNK

Fünf Tonnen produzieren Förde Garnelen in ihrer Halle pro Jahr. Zu wenig, um schwarze Zahlen zu schreiben. Wecker konzipiert, baut und betreut weltweit andere Zuchtanlagen, finanziert so das Zuschussgeschäft der Garnelen mit. In wenigen Monaten aber beginnen hier am Bülker Klärwerk die Bauarbeiten für eine neue, größere Anlage. Jahresproduktion: 50 Tonnen.

„Obwohl wir die ersten Erträge nicht vor Ende 2023 erwarten, ist diese komplette Produktion bereits verkauft“, sagt Wecker, als er erklärt, wo welcher Teil der neuen Halle stehen wird. Neben noch sensibleren Sensoren zur Überwachung des Wasser- und Nährstoffkreislaufs wird es auch fahrende Futterroboter geben. Und Kräne, die die Unterwasserhochhäuser automatisiert herausheben, wenn die Garnelen alle paar Wochen ein Becken weiter wandern müssen. Weniger knochenharte Arbeit für das Team, weniger Stress für die Tiere. „Wir wollen, dass die Garnelen möglichst ungestört bleiben. Das steigert sowohl die Qualität der Ware als auch das Tierwohl der Garnelen“, sagt Wecker.

Tierschutz und Tierwohl. Immer häufiger schwappen diese Aspekte von der landgestützten Tierhaltung auch in die Aquakultur. Vor allem dann, wenn mal wieder Bilder von katastrophalen Bedingungen in gigantischen Lachs-, Thunfisch- oder Forellenfarmen um die Welt gehen. Viele achten beim Kauf immerhin auf Qualitätssiegel wie ASC oder MSC. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn der Bedarf der Bundesrepublik übersteigt das heimische Angebot – und zwar um 97 Prozent. Deutsche Aquakulturbetriebe produzierten im vergangenen Jahr 32 200 Tonnen Fisch, Muscheln und anderes Seafood. Verzehrt wurden hierzulande allerdings 1,1 Millionen Tonnen. Ohne Import geht es also nicht.

KI erkennt und misst die Garnelen. Foto: Evgeny Makarov FÜR BUSINESS PUNK

Während Haltungs- und Produktionsstandards in Deutschland oft vergleichsweise hoch seien, könne man davon im Ausland nicht immer ausgehen, sagt Stefan Johnigk, Diplombiologe und langjähriger Berater für Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft. Mit seiner Firma 4DimBlick will er helfen, branchenweite Qualitätsstandards zu etablieren. Sein Werkzeug: die VR-Brille.

Ihren Ursprung nahm die Idee 2019, damals noch ganz analog. Die Mitglieder des Initiativkreises Tierschutzstandards Aquakultur – Johnigk ist einer von ihnen – wollten international Vor-Ort-Schulungen in Aquakulturbetrieben anbieten. Als Corona das Reisen unmöglich machte, schlug Johnigk vor, interaktive Lernmodule zu entwickeln, VR-Brillen an die Betriebe zu schicken und die Fortbildungen remote zu betreuen.

Artgerechte Haltung, Krankheitserreger erkennen, effektive Betäubung, professionelle Verarbeitung der Tiere – sollten diese Inhalte und Techniken nicht längst Standard sein in zertifizierten Betrieben? Im Grunde schon, beteuert Johnigk, doch in der Praxis würden sie oft nicht konsequent genug umgesetzt, oder es fehle tatsächlich das Know-how. Helfen soll dabei die virtuelle Realität. Studien belegen tatsächlich, dass immersives Lernen – also das Lernen durch VR-vermittelte Inhalte – schneller, effektiver und nachhaltiger ist als traditionelle Methoden.

Stefan-Andreas Johnigk von der 4DimBLICK GmbH. Foto: Evgeny Makarov FÜR BUSINESS PUNK

Für die Erstellung der virtuellen Inhalte besuchen Johnigk und seine Kollegin Melissa Behrendt derzeit einzelne Betriebe, filmen Zuchtanlagen, Ernteprozesse, Schlachtungs- und Transportabwicklung mit einer speziellen Kamera. Mithilfe einer Software, die auch bei virtuellen Museumsführungen zum Einsatz kommt, werden daraus am Computer multimediale, interaktive Module. Wer die VR-Brille trägt und sich durch die Einheiten klickt, bekommt tatsächlich das Gefühl, die Ernte in einer Karpfenzucht mitzuerleben, im Freigehege der Kieler Lachsforelle zu schwimmen oder inmitten eines Fischereibetriebs zu stehen.

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