Leadership & Karriere „Wärst du an deutschen Gangstern interessiert?“  – Dan McCrum im Interview zum Wirecard-Skandal

„Wärst du an deutschen Gangstern interessiert?“ – Dan McCrum im Interview zum Wirecard-Skandal

Es ist bislang der größte Finanzbetrug Deutschlands: Die Rede ist vom Unternehmen Wirecard aus München. Kurz gesagt: Wirecard hatte eine Banklizenz, es wurde bekannt, dass Gelder in Milliardenhöhe veruntreut wurden, das Umsatzvolumen wurde künstlich aufgebläht, Umsätze wahrscheinlich erfunden, um an Kredite ranzukommen, Haftbefehl gegen Ex-Chef Markus Braun und und und.

Aufgedeckt wurde der Betrug von Wirecard unter anderem von dem Journalisten der Financial Times Dan McCrum. Seine Erlebnisse hat er in dem Buch „House of Wirecad“ zusammengetragen. Im Interview spricht er mit uns über Anekdoten seiner Recherche, ob er während dessen in Gefahr war und was ihn an dem Fall fasziniert hat.

Dan, was denkst du, was fasziniert andere an Wirtschaftskrminalität? 

Wirtschaftsverbrechen sind faszinierend, weil so viel Geld im Spiel ist. Sie veranschaulichen grundlegende, menschliche Dinge, die wir im Laufe der Historie immer wieder gesehen haben: nämlich Gier und Blindheit gegenüber der Wahrheit. Wir haben ein Jahrzehnt lang diesen enormen Wirtschaftsboom erlebt, der am Ende Menschen Geld gekostet hat. Es hat wohl etwas Beruhigendes, wenn man sieht, wie diese angeblichen Helden der Wirtschaft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden.

Kannst du dich an deinen ersten Artikel über Wirecard erinnern?

Der erste Artikel, den ich je dazu geschrieben habe, hieß „House of Wirecard“. Ich habe sechs Monate gebraucht, um ihn zu schreiben. Ich wollte sagen, dass es Gründe und Hinweise für einen Betrug bei Wirecard gibt. Aber ich konnte das Wort Betrug selbst nicht verwenden, weil ich keine Beweise hatte. 

Es war zu Beginn auch sehr schwierig zu beschreiben, was Wirecard macht. Einfach gesagt verarbeitete Wirecard nämlich Zahlungen, aber es klang viel komplizierter. Das war ein Teil des Problems, das, meiner Meinung nach, gewollt war.

„Das Lustige ist, dass wir Wirecard zu diesem Zeitpunkt schon ein wenig aufgegeben hatten.“

Dan McCrum

Wann und wie hast du bemerkt, dass etwas mit Wirecard nicht stimmt?

Das erste Mal, als ich den Namen Wirecard hörte, unterhielt ich mich mit einem australischen Hedge-Fonds-Manager namens John Hempton. Er sagte zu mir: ‘Dan, wärst du an deutschen Gangstern interessiert?’

Wirklich? 

Ja. Also habe ich begonnen, mich mit Wirecard zu beschäftigen. Der Zugang zu dem Thema war durch John Hempton ein anderer, als wenn ich Wirecard zunächst als erfolgreiches Unternehmen begegnet wäre. John dachte sie wären Betrüger, weil ihm viele Online-Aktivitäten im Zahlungsbereich von Wirecard unstimmig vorkamen. 

Und ich glaube rückblickend mich zu erinnern, John habe mich gewarnt, vorsichtig zu sein, was ich damals nicht wirklich beachtet habe, aber vielleicht hätte ich das tun sollen. 

Letztendlich hast du dich sieben Jahre lang mit Wirecard beschäftigt. Was hat dich daran so gefesselt?

Jedes Mal, wenn ich mit dem Unternehmen sprach oder zu tun hatte, war es wirklich seltsam. Das eine Mal, als ich direkt mit Markus Braun gesprochen habe, habe ich ihn geradeheraus gefragt, ob er sich für das, was bei Wirecard vor sich geht, verantwortlich fühlt. Als er antwortete, wandte er klassische Techniken von Lügner:innen an, redete sich raus. Er sagte Sachen wie: „Warum sollte ich das tun? Und schauen Sie sich all die Leute an, die unser Unternehmen für großartig halten! Sie wissen schon, von der Qualität unserer Prüfer?” Sein Tonfall war sehr flach, als ob er irgendwie wütend wäre. 

Und dann gibt es diesen Moment, wo uns jemand erzählte, dass Braun zehn Millionen Dollar zahlen wolle, damit die Geschichten über Wirecard verschwinden. 

Wie habt ihr auf diese Information reagiert?

Das Lustige ist, dass wir Wirecard zu diesem Zeitpunkt schon ein wenig aufgegeben hatten. Wir hatten nichts mehr zu schreiben. Dieses Angebot einer Bestechung aus heiterem Himmel, hat uns dann wirklich umgehauen. Da waren wir uns sicher, dass diese Firma etwas sehr Kriminelles an sich hat, und wir auf jeden Fall versuchen sollten, etwas mehr herauszufinden. 

An der Rechere arbeiteten weltweit mehrere Redakteure der Financial Times. Die Zeitung unterstützte eure Arbeit. Wie bist du an deine Informanten gekommen?

Die Whistleblower waren die Allerwichtigsten. Einer war Gil. Er war damit beschäftigt, einen anderen Job zu suchen, nachdem er bei Wirecard rausgeflogen war. Und es war seine Mutter, die sich mit mir in Verbindung gesetzt hat. Als Gil das erfuhr, war ihm glaube ich ein bisschen schlecht, aber er lies sich darauf ein. 

Als wir uns getroffen haben, merkten wir schnell, dass wir uns vertrauen können. Zum Mittagessen kam seine Mutter dann dazu. Ich glaube, sie hat mich überprüft.

Ich muss auch rückblickend sagen: Wenn du jemanden davon überzeugen willst, dass du vertrauenswürdig bist, ist es eine sehr gute Taktik, deine Mutter zu dem Treffen mitzubringen. Mich hat das überzeugt. 

„Ich hatte definitiv Angst. Ich stand nie an der Kante eine Bahnsteigs.“

Dan McCrum

Du hattest 500 Gigabyte an Informationen. Wie hast du diese sortiert? Wie bist du vorgegangen?

Eine Art Orientierung haben mir 70 Gigabyte an internen Dokumenten gegeben. Es waren drei Posteingänge von Wirecard-Mitarbeitern. Ich habe fast zwei Monate damit verbracht, E-Mails durchzulesen, Prozesse zu verfolgen und habe versucht herauszufinden, was bei Wirecard vor sich ging. 

Ich hatte insofern Glück, als dass es in diesen Dokumenten gerade genug Beweise dafür gab, wie Wirecard den Betrug durchführte. Hätte ich am Anfang Zugang zu viel mehr gehabt, hätte ich die Nadel im Heuhaufen gesucht. Die ganze Sache beschränkte sich am Ende auf ungefähr 20 Dokumente von Tausenden. 

Du warst also wie ein Detektiv?

Ja. Und was ich dann tat, war wie das Ziehen an Fäden. Jedes Mal, wenn ich etwas Interessantes fand, druckte ich es aus. Ich saß in diesem winzigen Büro, drei Mal drei Meter groß, habe verschiedene Stapel mit unterschiedlichen Themen zu Wirecard angelegt und jeden Abend die Dokumente zur Sicherheit in einen Safe gepackt. 

Du hast dich durch deine Berichterstattung mit einem Unternehmen angelegt. Warst du während deiner Recherchen jemals in Gefahr?

Ich habe mich oft angreifbar gefühlt, aber als Journalist hatte ich einen gewissen Schutz, denn wenn mir in einer öffentlichen Schlacht etwas passiert wäre, dann hätte das viel mehr Aufmerksamkeit auf Wirecard gelenkt. Aber was einschüchternd war: Die Financial Times und ich wurden von der Finanzbehörde untersucht. Wirecard hat versucht es so aussehen zu lassen, als wären wir die Korrupten gewesen. 

Aber ohne Erfolg?

Ja. Es gibt eine Szene in meinem Buch, über die noch nie berichtet wurde: Jan Marsalek ging zum Staatsanwalt in München und erzählte die Geschichte von fiesen Spekulanten in London, die Journalisten von Bloomberg und der Financial Times bestochen haben. 

Es gibt ein paar Dinge, die daran für mich erstaunlich sind: Zum einen akzeptierte die Staatsanwältin die Idee, dass in London große Geldsummen für den Inhalt von Nachrichten den Besitzer wechseln – was ich in meiner gesamten Laufbahn noch nie erlebt habe. Und die andere Sache war: Jan Marsalek sprach über seine Verbindungen zu diesem Netzwerk von Spekulanten. Aber es scheint der Staatsanwaltschaft nicht in den Sinn gekommen zu sein, dass Marsalek derjenige sein könnte, der diese Nachrichten selbst an die Spekulanten weitergegeben hat. 

„Es würde mich nicht überraschen, wenn sich große Teile der Kryptoindustrie als größere Betrügereien und größere Abzocke herausstellen würden als Wirecard.“

Dan McCrum

Und du hattest wirklich nie so richtig Angst?

Ich hatte definitiv Angst. Ich stand nie an der Kante eine Bahnsteigs. Ich variierte meinen Arbeitsweg, damit mich niemand vom Fahrrad stoßen konnte. Aber ich meine, wird nicht jeder paranoid, wenn ein deutsches Finanzinstitut es auf einen abgesehen hat?

Gibt es etwas, was dir besonders in Erinnerung geblieben ist, während deiner Recherchen?

Einer meiner Favoriten ist ein Hedge-Fonds-Manager in dem Buch, der nur am Rande erwähnt wird. Er ist ein amerikanischer Shortseller im Ruhestand. Er rief mich an und gab mir das ganze Jahr 2019 aufmunternde Ratschläge wie: „Halte die Ohren steif. Du musst sie auffliegen lassen.”

Die ganze Geschichte ist in dem Buch „House of Wirecard“ von Dan McCrum nachzulesen.

Lustig war aber, dass er auch deutsche Journalisten wie Felix Holtzman anrief und ihnen sagte: „Was schreibst du da? Warum schreibst du so viel Nettes über Wirecard? Merkt ihr nicht, dass sie euch anlügen?” Er hat also auch eine Art Ein-Mann-Kampagne geführt.

Und er hat auch gesagt, dass es nie nur eine Kakerlake in der Küche gibt. Wenn man feststellt, dass ein Unternehmen oder ein Geschäftsführer bei einer Sache lügt, dann lügen sie wahrscheinlich auch bei vielen anderen Dingen. Investoren, Aufsichtsbehörden und Banken wollten über die Dinge hinwegsehen, von denen sie hätten wissen müssen, dass sie gelogen waren oder ganz sicher nicht der Wahrheit entsprechen konnten. Das ist im Fall von Wirecard immer wieder passiert. 

„Wir investieren in Helden und feuern sie an.“

Dan McCrum

Was lernen wir aus dem Wirecard-Skandal? 

Verbraucherbetrug passiert die ganze Zeit. Es werden nur keine Ressourcen dafür bereitgestellt, es zu verfolgen. Wenn man den nächsten Kreditkartenbetrug aber verhindern will, muss man klein anfangen, indem man andere Arten von Finanzbetrug aufdeckt. Nur so erkennt man ihn und kann ihn stoppen, bevor er bei einem DAX-30-Unternehmen auftritt. 

Wirecard wurde aufgedeckt, weil sie dumm genug waren, Buchhaltungsbetrug zu begehen und tatsächlich Geld von reichen Banken und Investoren zu stehlen.

Stimmt, die wenigsten Menschen kennen sich mit Finanzbetrug aus. 

Es würde mich nicht überraschen, wenn sich große Teile der Kryptoindustrie als größere Betrügereien und größere Abzocke herausstellen würden als Wirecard. 

Wieso passieren solche großen Skandale? Ist es, weil wir nach großen Helden suchen?

Wir investieren in Helden und feuern sie an. Wir sind in einer säkularen Gesellschaft und suchen nach jemandem mit Superkräften – im Leben und in der Wirtschaft. Es gibt viele Probleme in der Gesellschaft, die diese angeblichen Helden lösen können und die Menschen reich und Dinge gleichzeitig besser machen. Aber auch sie sind am Ende des Tages wie wir alle: gierig, unvollkommen und manchmal korrupt.

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