Innovation & Future In diesem Dorf in Indonesien wird Youtube zur Einkommensquelle Nummer eins

In diesem Dorf in Indonesien wird Youtube zur Einkommensquelle Nummer eins

Wer sich ein bisschen mit Content-Marketing oder Growth-Hacking auseinandergesetzt hat, wird ehrlich sagen müssen, dass er das Rad nicht neu erfindet: Regelmäßigkeit beim Upload sei wichtig, außerdem das Wissen darum, für welche Themen und Trends sich die Zielgruppe interessiert. Doch reizvoller ist die schiere Größe des adressierbaren Markts. Nach Angaben von Internet World Stats gibt es in Indonesien 212 Millionen Internetnutzer:innen, und Stand März 2021 steht Indonesien damit nach China und Indien an dritter Stelle weltweit. Wer hier einen ordentlich großen Fußabdruck im Creator-Business hinterlässt, kann sich allein dank der Masse über lukrative Partnerschaften und Auszahlungen freuen.

Learnings aus Posong

Januar sagt, dass man am Anfang jeden Tag mindestens drei bis sechs Inhalte hochladen muss, um ersten Traffic zu erzeugen. „Wir sind keine Berühmtheiten und fangen daher wirklich bei null an. Nur konsequentes Hochladen sorgt für Verbreitung.“

Anfänger:innen empfiehlt Januar, Inhalte zum Thema Gebet zu erstellen, im muslimischen Land erreicht man damit ein großes Publikum. Ein Video mit dem Titel „Gebet zur schnellen Begleichung von Schulden“ war einer seiner frühen Erfolge. Januar lacht. Hat für ihn funktioniert. Januar kennt eigentlich kein Thema, das für ihn nicht infrage kommt, dreht auch Videos über pflanzliche Arzneimittel, deren Zutaten in der Umgebung leicht zu finden sind.

Etwa, wie man sich aus Guavenblättern Medizin gegen Durchfall braut. Doch die Ansprüche steigen. In Posong geht man weg von Info und Nutzwert, hin zu echter Fiction, ausgetüftelteren Geschichten. Der neueste Trend sind Spuk- und Geistergeschichten. Und hier kommt dann eben das ganze Dorf ins Spiel: Weil die Storys komplexer werden, arbeiten alle zusammen. Rollen werden verteilt: Es braucht Schauspieler:innen, Kameraleute und Cutter:innen, anschließend wird das verdiente Geld aufgeteilt.

Smartphone on tripod for filming in Posong, Bondowoso, East Java, Indonesia.

Januar hat nach eigener Schätzung mittlerweile bereits 100 Leute aus dem Dorf eingespannt. Anfangs vor allem die jüngeren und wenig beschäftigten, mittlerweile aber auch Leute wie Candra Hariwibowo. Der Mittdreißiger ist eigentlich der Grundschullehrer von Posong. Doch als die ersten Auszahlungen aus dem Creator-Business eintrafen, fiel die Entscheidung für eine neue Karriere als Schauspieler nicht schwer. Hariwibowo hat sich erst einmal ein rotes Sportfahrrad gekauft. Anschließend kamen die Vernunftkäufe: „Ich habe Reisfelder und Vieh für meine Eltern gekauft, damit der Erlös nicht vollständig für Luxusgüter draufgeht.“

Ein anderer Creator, Jamal Khairullah, hat sich jüngst gleich zwei Autos gekauft. Mit 24 Jahren ist er einer der erfolgreichsten Youtuber des Dorfes und baut gerade ein Haus in Posong: „Dank Youtube müssen wir jungen Leute jetzt nicht mehr in die Stadt ziehen“, sagt er. Er setzt bei seinen Videos auf die kurzen, gescripteten Formate: „Wir laden normalerweise jede Woche ein bis drei Filme mit einer Dauer von zwischen fünf und 15 Minuten hoch.“

Die Einnahmen können tatsächlich beträchtlich sein: Bis zu 15 000 Dollar pro Monat sind laut Januar drin – und das in einer Region, in der das monatliche Durchschnittseinkommen bei etwa 150 Dollar liegt. Folgerichtig, dass die Videoplattform den Alltag umgekrempelt hat. Videos werden in Schulen, Wohnungen, verlassenen Häusern, Gärten und auf Flüssen gedreht. Nach einiger Zeit wirkt alles wie ein Set. Nur der Regen zwingt manchmal zur Pause – anschließend wird noch intensiver weitergearbeitet.

PC for uploading video to YouTube at Imam Januar’s house in Posong, East Java

Digitalpionier Januar selber ist vom Filmen ein wenig weggekommen, er ist stattdessen zum Mentor und Lehrer geworden – und zwar über Posong hinaus. Seine Mission: „Ich werde die Menschen unterrichten, bis sie in der Lage sind, Inhalte zu erstellen. Ich möchte, dass mehr Menschen, vor allem Mitglieder kleiner Gemeinschaften, mit Youtube Geld verdienen und ihre Lebensbedingungen verbessern können.“

Januar ist erst über viele Umwege auf seine Berufung gestoßen. Jetzt sieht er, dass er eine Art Vermächtnis erschafft. Und dafür ist er dankbar: „Ich bin sehr glücklich. Manche Nachbarn sagten sogar, ich hätte Tuyul Pesugihan in mir.“ Dabei handelt es sich um einen Geist, der seinem menschlichen Herrn Reichtum verschaffen soll. Eigentlich auch eine gute Story für einen Kurzfilm.

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 3/22. In unserem Dossier dreht sich dieses Mal alles um das Thema Climate-Tech. Auch mit dabei: Wie der Head of Hiphop dem Streamingriesen Apple Music endlich eine junge Zielgruppe zuführen soll. Außerdem: Was passiert im Super Startup Adventure Camp Barcelona? An welcher veganen Alternative arbeitet das Food-Tech-Startup Perfeggt? Und vieles mehr. Hier geht es zur Bestellung

Seite 2 / 2
Vorherige Seite Zur Startseite

Das könnte dich auch interessieren

Vom Strandparadies zur Tech-Oase: Rio de Janeiro will zum Tech-Mekka Lateinamerikas werden Innovation & Future
Vom Strandparadies zur Tech-Oase: Rio de Janeiro will zum Tech-Mekka Lateinamerikas werden
Iqos-Deutschlandchef Markus Essing über den Iluma-Roll-out Innovation & Future
Iqos-Deutschlandchef Markus Essing über den Iluma-Roll-out
Auweia: Temu weckt Wünsche, die es ohne Temu nicht gäbe Innovation & Future
Auweia: Temu weckt Wünsche, die es ohne Temu nicht gäbe
Warum uns auch diese Regierung nicht ruinieren wird Innovation & Future
Warum uns auch diese Regierung nicht ruinieren wird
Der Roboter von OpenAI klingt (fast) wie ein Mensch Innovation & Future
Der Roboter von OpenAI klingt (fast) wie ein Mensch