Productivity & New Work Leni Bolt: „Der ganze Arbeitstag besteht aus Mikro-Verhandlungen“

Leni Bolt: „Der ganze Arbeitstag besteht aus Mikro-Verhandlungen“

So oft der Begriff Work-Life-Balance auch fällt, was darunter zu verstehen ist, ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Liest man ein paar Stellenanzeigen, sieht man Modelle wie: 38 Stunden pro Woche, Flexibilität, Remote oder auch einfach keinen Rufdienst und Wochenenden frei. Was Balance schafft, ist also auch individuell.

Leni Bolt hat zu dem Thema ein ganzes Buch geschrieben: „Work-Life-Liebe“. Leni ist Work-Life-Coachin. In dieser Rolle war sie auch in der Netflix-Produktion „Queer Eye Germany“ zu sehen. Wir haben mit Leni darüber gesprochen, wie man sich wieder in seinen Job verlieben kann, wie man eine Work-Life-Balance erreicht und was uns der Begriff eigentlich bringt.

Leni, es wird ja viel über Work-Life-Balance in den Medien und sozialen Netzwerken gesprochen. Oft wird es auch in einem Zug mit der Vier-Tage-Woche genannt. Wie ist da deine Erfahrung? 

Das Thema hat allgemein ganz viele Überschneidungselemente mit New Work. Mir wird immer entgegen geworfen, dass Work-Life-Balance in unserer heutigen Arbeitswelt gar nicht mehr geht. Work-Life-Blanding ist der gehypte Begriff. Ich finde dieses Konzept aber schwierig. Gerade Menschen, die Schwierigkeiten haben, Grenzen zu setzen, die People-Pleasing betreiben, für die ist Work-Life-Blending viel schwieriger. Man ist immer im Arbeitsmodus und kommt nicht in die Erholungsphase. Deswegen bin ich ein Fan davon, dass man Arbeit und private Zeit strikt voneinander trennt. 

Was bedeutet Work-Life-Balance nicht? 

Es bedeutet nicht, dass wir unser Leben nur auf die Arbeitswelt fokussieren. Ich erlebe in meinen Coachings, dass sich bei vielen Menschen alles im Arbeitskosmos abspielt, auch Freundschaften. Wenn die Arbeit wegbricht, wegen Krankheit oder Burnout, ist ihr ganzes soziales Konstrukt, all ihre Identitätsanknüpfungen weg. 

Du hast dein Buch „Work-Life-Liebe“ genannt. Wieso?

Weil ich Menschen helfen möchte, sich wieder in ihren Job zu verlieben. Ich verfolge in meinem Buch zwei Lösungsansätze dafür. Die eine basiert darauf, wie man in seinem Job bleibt und dann gibt es noch die SOS-Variante, wenn man selbst kaum Möglichkeiten hat, etwas zu verändern und wirklich nichts mehr geht. 

„Was dich entlastet, belastet eine andere Person.“

Leni Bolt

Was denkst du, was kommt öfter vor?

Es ist immer der einfachere Weg zu sagen: Mir passt alles nicht. Die Leute verstehen mich nicht. Ich muss weiterziehen. Aber ganz oft sind das Probleme, mit denen man sich selbst nicht so richtig befasst hat. Zum Beispiel: Grenzen setzen, Kommunikation, Erwartungsmanagement mit Kolleg:innen oder Vorgesetzten. Und dann passieren genau dieselben Probleme im neuen Job wieder und immer wieder. Deswegen sollte man sich zuerst selbst reflektieren. 

Was ist der allererste Schritt, wenn ich mich wieder in meinen Job verlieben will? 

Der allererste Schritt ist, eine Art Status-Quo-Analyse zu machen. Nur für sich selbst. Dafür nimmt man einfach zwei Seiten Papier und schreibt auf, was einem am Job gefällt und was nicht. Im nächsten Schritt überlegt man sich, welche Werte einem wichtig sind. Das können persönliche Werte sein, aber auch Unternehmenswerte. Dann schaut man, ob es Überschneidungen gibt. Im nächsten Schritt versucht man konkrete Lösungsansätze zu finden. Wenn man selbst keine Idee hat, wie man seine Situation verbessern kann, sollte man mit Freund:innen oder Kolleg:innen in den Austausch gehen.

Wenn ich für einen Lösungsansatz zu einem Vorgesetzten muss, wie kann ich da das Gespräch suchen?

Am wichtigsten ist, dass man direkt Lösungsansätze mitbringt. Damit zeigst du, dass du nicht auf Konfrontation aus bist, sondern dir schon Gedanken gemacht hast. So können auch neue Ideen bei den Vorgesetzten entstehen. Weil was dich entlastet, belastet eine andere Person. Da müssen Unternehmen auch mal so ein bisschen vorwärts schauen und überlegen, wie kann ich eigentlich meine Angestellten durch Technologien entlasten

In einem anderen Interview hörte ich noch den Begriff Life-Work-Balance. 

Im Grunde sind das für mich ehrlich gesagt alles nur Begriffe, wie ich meine Arbeit definiere. Das brauche ich, um zu definieren, wo ich hin möchte: weniger Stress, mehr Freizeit. Ob man das jetzt Work-Life-Balance nennt oder Life-Work-Balance ist nicht so wichtig. 

Wie kann ich für eine bessere Work-Life-Balance bei einer 40-Stunden-Woche sorgen?

Ich empfehle allen, ihr Zeitmanagement bei der Arbeit anzuschauen. Ganz oft verlieren wir uns in Mails, die uns ablenken oder wir verlieren Zeit auf Social Media. Da sollte man sich Techniken aneignen, wie die Pomodoro-Technik. Die mache ich gerne. Dann kann man schauen, ob sich durch besseres Zeitmanagement etwas an der eigenen Stimmung am Arbeitsplatz verändert. 

Auf Social Media Zeit daddeln geht auch damit einher, dass man nicht acht Stunden am Stück konzentriert arbeiten kann.

Das ist vollkommen normal. Aber man sollte seine Pausen und Deepwork-Phasen nicht vermischen und klare Grenzen setzen. Sonst schaut man nicht auf die Uhr und verschwendet viel Zeit, weil man dann plötzlich eine halbe Stunde auf Youtube war, obwohl man nur zehn Minuten Pause machen wollte. 

„Beziehungen im Job werden oft unterschätzt“

Leni Bolt

Das Phänomen kennen wohl viele.

Ich auch. Gerade wenn man seinen Instagram-Kanal pflegt oder sein Linkedin-Profil geht das schnell. Bei Linkedin gibt es noch einen psychologischen Faktor: Wir fühlen uns nicht so schuldig, wenn wir während der Arbeitszeit auf Linkedin sind, weil sich das so ein bisschen anfühlt, als würde man das für die Arbeit und eigene Karriere machen.

Soll man sich Linkedin-Zeit einplanen?

Kommt darauf an. Wenn netzwerken für den Beruf wichtig ist, dann kann man das machen. Ich mache es meistens so: Morgens bin ich auf Instagram und Linkedin, schreibe Posts und beantworte Nachrichten, that’s it. Da muss ich dann ehrlich zu mir sein und sagen: Das war der berufliche Teil, alles was danach kommt, ist privat. 

In deinem Buch geht es in einem Kapitel auch über ergebnisorientiertes Arbeiten. Was steckt dahinter?

Da geht es darum, dass wir nicht 9-to-5 am Bürotisch sitzen, obwohl wir mit allen Aufgaben schon durch sind. Da kommt nur wieder die Scroll-Time, weil man versucht, Zeit totzuschlagen. Diese Zeit könnte man aber besser in seine Work-Life-Balance investieren. Beim ergebnisorientierten Arbeiten geben Arbeitgeber:innen vor, was die Mitarbeitenden erreichen sollen. Wie und wann, ist egal. 

Da muss ich aber anmerken, dass das nicht funktioniert, wenn es dir schlecht geht, du überfordert bist oder wenn du zu Hause Care-Arbeit machen musst. Vielleicht braucht es da ein gemischtes Modell aus fester Arbeitszeit und ergebnisorientiertem Arbeiten. So kann man alle Menschen mitziehen. Wenn wir nur ergebnisorientiert arbeiten, dann lassen wir die Leute behind, denen es mental nicht so gut geht.

Wie kann ich meinen Arbeitgeber vom ergebnisorientierten Arbeiten überzeugen?

Mit gutem Projekt- und Erwartungsmanagement.

Mit Work-Life-Balance geht auch das Thema Gefühle am Arbeitsplatz einher. Wie rede ich über meine Gefühle?

Es ist wichtig, eine Vertrauensperson im Unternehmen zu finden, der wir uns anvertrauen können und wollen. Beziehungen im Job werden oft unterschätzt. Ein Unternehmen kann auch aktiv mitwirken, indem es extra Zeit einplant, damit alle zusammenkommen und ihre Gefühle äußern können. Da kann man sagen, wenn man sich nicht richtig behandelt gefühlt hat oder nicht wertgeschätzt genug oder was auch immer im Raum steht. Auch für private Probleme muss Platz sein.

Ich kann mir vorstellen, dass Führungskräfte das aus Angst lieber vermeiden wollen.

Die Person muss selbstbewusst genug sein, das auszuhalten, wenn Probleme auf sie zurückzuführen sind. Aber viele haben keinen Bock auf die Auseinandersetzung. Lieber stellen CEOs eine neue Person ein, als sich mit den wahren Problemen des Unternehmens zu beschäftigen. Langfristig brechen da aber die Leute weg. 

Wie ziehe ich eine klare Grenze und sage mal Nein?

Wenn jemand fragt, ob man etwas übernehmen kann, sagt man am besten, dass man erst noch das fertig macht, woran man arbeitet und danach auf die Person zukommt. So hat man Bedenkzeit. Es geht immer ums Verhandeln. Der ganze Arbeitstag besteht aus Mikro-Verhandlungen. Darin müssen wir alle kompetenter werden.

In deinem Buch schreibst du auch über den Monday Blues.

Das Phänomen kennen viele Menschen. Am besten packt man sich die Montage nicht mit Terminen und To-Dos voll. Es lohnt sich, vor Arbeitsbeginn Zeit zu nehmen und etwas für sich selbst zu tun. Dann stolpert man nicht so in die Woche. Viele checken schon aus Druck vor dem Monday Blues am Wochenende ihre Mails, um wieder reinzukommen. Wochenende ist Wochenende, wenn man sich das leisten kann und der Job das hergibt. 

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