Leadership & Karriere Christian Lindner: Das Comeback

Christian Lindner: Das Comeback

Dann kamen die Berater

Schritt zwei: Analyse statt Meinung. Wenige Wochen nach der Wahlniederlage meldet sich ein Partner der Boston Consulting Group (BCG) bei Lindner. Der Unternehmensberater ist FDP-Mitglied und hat ein Angebot: Er will die Partei einmal komplett durchmessen, die Marke, die Mitglieder, die Werte und die Wertschätzung. „Wir haben dann den Status quo der FDP analysieren lassen“, sagt Lindner. Die Unternehmensberatung habe zwar nicht die Strategie entwickelt, „aber mal die Demoskopie ausgewertet, Fokusgruppen gebildet und uns den Spiegel vorgehalten“. In den folgenden Wochen erforscht BCG in groß angelegten Umfragen im Gegenwert von 30 000 Euro, was die Leute in Deutschland über Lindners Partei denken: Wie sehen die Menschen die FDP? Wie sieht die Marke aus, was sind die Erwartungen? Warum ist die Partei nicht gewählt worden? Wo gibt es Potenziale? Harte Erkenntnis: Die Deutschen mögen liberale Positionen. Aber sie glauben nicht, dass die FDP eine wahrhaft liberale Partei ist. BCG gibt Lindner eine Idee mit auf den Weg, in Form einer so knappen wie smarten Formulierung: „Die Partei, die Chancen ermöglicht“, das solle die FDP werden.

Schritt drei: Demut lernen. Das passiert quasi von allein. Im Bundestag ist die FDP nicht mehr vertreten, in Talkshows werden ihre Mitglieder kaum mehr eingeladen. Was der Parteivorsitzende einer außerparlamentarischen Opposition zu sagen hat, ist faktisch schlicht egal. Also will Lindner, wie er sagt, „die oft unterschätzten Regionalzeitungen pflegen“ und entwickelt eine einfache Faustformel: acht Interviews in Regionalzeitungen gleich ein Interview in der „Süddeutschen Zeitung“. Tatsächlich nimmt es Lindner mit der neuen Demut sehr ernst, lehnt bis heute fast keine Interviewanfrage, fast keine Einladung zu einem Panel, einer Podiumsdiskussion oder Eröffnung ab, vom Diskussionsabend beim Schwarzwälder Dübelhersteller bis zum Startup-Lunch der FDP Bayern.

Schritt vier: anders kommunizieren. Von BCG wusste Lindner, dass die FDP trotz allem noch als wertige Marke galt. Quasi: der Adidas Stan Smith unter den Parteien – deutlich aus der Mode gekommen, aber mit dem richtigen Marketing durchaus mehrheitsfähig. Doch die Werbeagenturen, die Lindner und seine Leute zum Pitch bitten, überzeugen nicht. Also ruft er Andreas Mengele von der Agentur Heimat Berlin an. Die ist vor allem durch ihre preisgekrönte Werbung für den Heimwerkermarkt Hornbach bekannt geworden, und Mengele winkt ab. „Die hatten schon mal FDP gemacht und hatten gesagt: Never ever again“, erinnert sich Lindner an die Abfuhr. Aber er bleibt hartnäckig, trifft den Heimat-Geschäftsführer Mengele zum Kaffee und erzählt, was er mit der FDP vorhat. Mengele bittet sich Bedenkzeit aus. Ein paar Tage später ruft er an und sagt zu. Der Agentur- und der Parteichef einigen sich auf eine Zusammenarbeit. „Ohne dass wir ein Konzept oder nur eine Pappe gesehen hätten“, sagt Lindner. „Einfach nur, weil die Chemie gestimmt hat.“

Schritt fünf: professioneller werden. Heimat verpasst der FDP nicht nur komplett neue Farben, sondern auch einen neuen Namen. Ein knalliges Blau, leuchtendes Gelb und neu dazu: Magenta. „Freie Demokraten“ statt „Die Liberalen“. Vor allem installieren Lindner und Heimat eine zentrale Kampagnenführung für alle Wahlkämpfe in jedem Bundesland. Seitdem geben die Bundes-FDP und Heimat bei sämtlicher Wahlwerbung den Ton an – ganz einfach, weil es immer dieselbe Partei ist, die zur Wahl steht. Und weil in Zeiten von Social Media und bundesweiter Berichterstattung ohnehin keiner mehr versteht, warum eine Partei in Hamburg anders auftritt als in Sachsen, in Bayern anders als in Berlin. „Das einzuführen wäre nicht möglich gewesen in einer Situation, in der die FDP stabiler gestanden hätte“, sagt Lindner. Überhaupt drängelt er seine Partei hart in Richtung eines moderneren Erscheinungsbilds. Jede, wirklich jede FDP-Publikation wird überarbeitet, jede Homepage, jede Kandidatenseite, selbst die „Liberale Depesche“, die altehrwürdige und traditionell saulangweilige Mitgliederzeitung, präsentiert sich seit 2015 unter dem Namen „fdplus“ in kräftigen Farben. Der Bundesparteitag 2015 wird zur Bühne für den radikalsten Relaunch einer deutschen Partei. Großer Slogan: „German Mut“ – als Gegenstück zur legendären „German Angst“. Ja, gaga und eine Spur zu aufgekratzt für die alte Tante FDP. Aber es zeigte: Der Wahlverlierer von 2013 war noch nicht tot, war irgendwie anders und hatte keine Angst, sich lächerlich zu machen.

Schritt sechs: Gefühle zeigen. Ende Januar 2015, als es im Landtag von NRW um Startups und digitale Wirtschaft geht, will Christian Lindner ein paar kritische Anmerkungen an die rot-grüne Landesregierung richten. Da stichelt ein SPD-Abgeordneter mit einer hämischen Bemerkung über Lindners eigenes, wenig erfolgreiches Intermezzo zu New-Economy-Zeiten. Lindner hält inne. Was dann auf das Parlament niederregnet, ist eine Brandrede, eine große Eloge aufs Scheitern – und eine Abrechnung mit der Doppelmoral derjenigen, die mehr Mut fordern, sich aber über jeden Misserfolg belustigen. Das kann Lindner wie derzeit kein Zweiter in Deutschland: aus dem Stegreif grundsätzlich werden. Schnelle, schlaue Sätze, spitze Pointen.

Lindner selbst hakt den Ausbruch direkt ab. Im Internet aber macht sein Rant schnell die Runde. „Mein Sprecher rief mich am Sonntag darauf an und sagte: ,Christian, deine Rede ist auf Youtube, das ist schon ein paar hunderttausendmal gelaufen.‘ Ich dachte erst, das ist ein Shitstorm.“ An diesem Tag platzte nicht nur ein Knoten, wie Lindner selbst sagt. Seine spontane Eloge auf den Mut zum Scheitern wird die endgültige Neupositionierung der FDP aus einem Zufall heraus. „Das war echte Empörung“, sagt Lindner, „bei der es mal nicht um die Gewinner des Lebens geht, sondern um Menschen, die gerade mal nicht erfolgreich waren.“ Dann muss Lindner los: Ein Team der „Tagesschau“ wartet schon auf ihn, in drei Minuten soll er vor der Kamera stehen. In 30 Minuten muss er ins Plenum und Armin Laschet zum neuen Ministerpräsidenten von NRW wählen, als Regierungschef einer schwarz-gelben Koalition. Einer vor nicht allzu langer Zeit tot geglaubten Konstellation, die bald vielleicht sogar in der Bundespolitik wieder eine Option sein könnte. Wer hätte vor vier Jahren darauf gewettet?

Christian Lindner allein gegen den AStA

Ein paar Tage später, Mitte Juli, Christian Lindner ist an der Ruhr-Uni Bochum zu Gast. Die Jungen Liberalen haben eingeladen, Lindner soll zur „Zukunft der Hochschulen“ sprechen. Die fast 900 Plätze im Hörsaal HZO 10 sind komplett belegt, doch dann stürmen etwa ein Dutzend Studierende ins Publikum. Sie stammen offenbar aus dem Umfeld des linken AStA der Universität, tragen Plakate. Ein langhaariger Student tritt ans Mikrofon, beklagt Studiengebühren für EU-Ausländer und versucht, Lindner in die Defensive zu bringen.

Ein großer Fehler. Etwas Besseres hätte nicht passieren können, Lindner ist jetzt ganz in seinem Element: dem bissigen Schlagabtausch. Der FDP-Chef, der ein Ansteckmikrofon hat, lässt sich nicht in die Defensive treiben, hält einen kurzen Vortrag über Meinungsfreiheit, Demokratie und Toleranz, bringt den ohnehin vor allem mit Jungen Liberalen und freundlich Interessierten gefüllten Saal mit ein paar ebenso lustigen wie gemeinen Sprüchen hinter sich. „Jetzt mal still – wir sind hier nicht in Hamburg“, ruft er zum Ende seiner Gegenrede den Störern noch zu. Die trollen sich, Sieg nach K. o. für Christian Lindner.

Natürlich weiß der, dass sein aktueller Erfolg kein Grund zur Entspannung ist. Und natürlich ist die FDP keine komplett neue Partei. Allein 2017 landeten über 600 000 Euro an Parteispenden auf ihren Konten – fast so viel wie CDU, SPD und Grüne zusammen bekamen. Noch immer schaltet der Verband der Deutschen Automatenwirtschaft große Anzeigen in FDP-nahen Publikationen, in der Hoffnung, dass die Partei unter Freiheit auch versteht, seinen Monatslohn in die Spielothek zu tragen. Und noch immer findet die FDP, dass Erbschaften deutlich niedriger besteuert werden sollten als selbst erarbeitetes Einkommen.

Auch organisatorisch steht die Partei vor einer Reihe von Problemen: Wenn es im Herbst für Schwarz-Gelb reicht, wird Lindner schneller in einer Bundesregierung sitzen, als es für seinen Fahrplan sinnvoll wäre. Ginge es nach ihm, dürfte die FDP in den kommenden vier Jahren ihr Programm vertiefen, sich finanziell erholen und personell breiter aufstellen. Ganz zu schweigen davon, dass die Partei in Ostdeutschland derzeit kaum existent ist, im Grunde komplett neu aufgebaut werden müsste. Und dafür, das sagt Lindner so deutlich natürlich nicht, wäre es viel besser, wenn er Oppositionsführer im Bundestag wäre – und nicht als Wirtschaftsminister das, was er laut einfordert, unter einer Kanzlerin Merkel selbst umsetzen müsste.

Auf jeden Fall würde ein zu großer Wahlerfolg sofort Lindners wichtigsten Vorteil kassieren: die inhaltliche Wendigkeit. Wie auch Macron, Trudeau und Obama ist Lindner wahnsinnig gut darin, sich als gesellschaftlichen Seismografen, als Entscheider und als Macher, als eine Art Steve Jobs der Politik zu inszenieren.

Demokratie aber, vor allem in Parlamenten und noch mehr in Regierungen, funktioniert meist anders: langsam, mühselig, mit viel inhaltlicher Arbeit, großer Beharrlichkeit und den Wählern schwer zu vermittelnden Kompromissen. Das ist viel komplizierter als diese etwas rockyhafte Comebackgeschichte der FDP. Dass die neuen Parteien und neuen Politiker von Lindners Schlag großartige Wahlkämpfer sind, dass sie Parteimitglieder und Fans hinter sich versammeln können und aus dröger Politik humorvolle Unterhaltung machen können, ist das eine. Aber können sie auch das politische Klein-Klein, die Steuerung von Ministerien, das Durchboxen unbeliebter Entscheidungen?

Nachdenkliche Bilder

Zwei Monate vor der Bundestagswahl präsentiert die FDP im The Gate, einem kleinen Museum direkt am Brandenburger Tor, auf einer 270-Grad-Panoramaleinwand die Motive ihrer Kampagne zur Bundestagswahl. Die Partei steht in diesem Moment in Umfragen bei soliden sieben bis neun Prozent. „Das macht uns nicht selbstzufrieden, das macht uns dankbar. Und es zeigt uns, dass das der richtige Weg ist“, sagt FDP-Bundesgeschäftsführer Marco Buschmann. Dann tritt Lindner vor den sehr weiß leuch­ten­den Screen, auf dem gleich die Kampagne zu sehen sein soll, und spricht: „Nicht jedem gefällt das, was wir an politischen Grundüberzeugungen haben. Unser Vertrauen auf das Individuum, unser optimistisches Menschenbild, das daran glaubt, dass jeder Einzelne bereit ist zur Übernahme von Verantwortung, dass Menschen ihr Leben selbstbestimmt leben wollen, dass sie von Natur aus eher großzügig, tolerant und solidarisch sind.“ Ganz kurz hält Lindner inne. Und es passiert einfach: nichts. Da stellt sich der FDP-Vorsitzende vor die versammelte Presse und wirbt mit den Schlagwörtern Toleranz und Solidarität für die FDP – und es hebt kein Geraune an, keiner lacht. Wenn das ein Test war, dann hat er funktioniert: Die Erinnerung an die kaltherzige Besserverdienendenpartei FDP, deren einziger politischer Erfolg einmal die Senkung einer Hoteliersteuer war, sie scheint komplett verblasst.

Dann werden die Motive gezeigt. Groß und weiß leuchten sie an der Wand: lange Texte in kleiner Schriftgröße und viele Fotos von Lindner – ohne Krawatte, dafür mit Dreitagebart. „Ungeduld ist auch eine Tugend“ steht daneben in schrillem Gelb auf Magenta. Und: „Manchmal muss ein ganzes Land vom 10er springen.“ Die Fotos in Schwarz-Weiß, noch viel größer als die Sprüche, nachdenkliche Bilder von Christian Lindner, geschossen von einem Fotografen, der sonst Coldplay, Sting und die Toten Hosen ablichtet. Eigenartige Plakate, mit viel Text, ungewöhnlichen, übergroßen Fotos, kaum Schnickschnack, absolut auf den Spitzenkandidaten zugeschnitten. Modern, interessant, für eine Partei überraschend selbstkritisch und humorvoll.

Nur ein Element wirkt auf den Lindner-Plakaten eigentlich verzichtbar: das Logo der FDP.

 

 

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