Leadership & Karriere Vom Sportplatz bis zum Exit: Die Gründerstory von Freeletics

Vom Sportplatz bis zum Exit: Die Gründerstory von Freeletics

Ganz ohne Startkapital hat Freeletics ein extremes Fitnessprogramm mit hohem Suchtpotenzial aufgezogen. Die Gründer wollen aus ihren Kunden bessere Menschen machen – und die größte digitale Sportmarke der Welt werden.

Von Sonja Salzburger. 

„Es ist gut, wenn es brennt. Es muss brennen“, ruft die Trainerin. Sie kniet neben mir und zählt: „62, 61, noch 60 Situps! Nur an die nächste Wiederholung denken!“ Vor meinen Augen schimmert es. Meine Arme zittern, meine Bauchmuskeln glühen. Ich will aufhören, mich auf die Matte werfen, endlich wieder richtig Luft bekommen. Spüren, wie der Schmerz aus meinen Muskeln weicht. Nie zuvor habe ich mich derart angestrengt. Nie hätte ich gedacht, dass sich so Sport anfühlen kann, den man freiwillig macht.

Wie mir geht es täglich 10 000 Menschen auf der Welt. So viele melden sich alle 24 Stunden bei Freeletics an, um „Freie Athleten“ zu werden, wie das Münchner Fitness-Startup seine Kunden nennt. Im Juni 2013, als ich von Freeletics gehört und es ausprobiert hatte, gründeten Andrej Matijczak, Mehmet Yilmaz und Joshua Cornelius offiziell ihre Firma. Bis heute haben sich mehr als vier Millionen Menschen registriert. Das Coaching übernimmt eine App, die inzwischen in fünf Sprachen und über 160 Ländern verfügbar ist. In zig Städten gibt es Gruppen, die sich zum gemeinsamen Training verabreden. Freeletics beschäftigt mehr als 60 Leute.

Ausgerechnet im überlaufenen Fitnessmarkt ist den drei Gründern Erstaunliches gelungen: Mit ihrem Drill-Konzept haben sie die Generation Y, die sonst eher nicht weiß, wozu sie sich eigentlich aufraffen soll, süchtig nach Liegestütz und Klimmzügen gemacht. Ohne Kapital haben sie eine Firma aufgebaut, die in zehn Jahren auf Augenhöhe mit Nike sein kann, davon sind die Gründer überzeugt. Auch Nike drängt in den digitalen Raum. Freeletics aber soll, O-Ton, die größte digitale Sportmarke der Welt werden.

Das Büro des Startups liegt in Neuhausen, mitten in München. Die Gründer haben dort ein 1 200-Quaddratmeter-Loft nach ihren Vorstellungen umbauen lassen – mit Umkleidekabinen, Klimmzugstangen, einer Trainingsfläche und großzügiger Küche. „Wir brauchten etwas, das unseren Ambitionen entspricht“, sagt Yilmaz. Apropos Ambitionen: An den Wänden hängen Poster ihrer Idole: Nicht etwa Arnold Schwarzenegger oder Tim Wiese. Die Vorbilder sind: Nelson Mandela, Muhammad Ali – und Mutter Teresa.

Die drei Gründer wirken in ihren Jeans und engen, unifarbenen Shirts, die ihre Muskeln optimal zur Geltung bringen, nur auf den ersten Blick wie Studenten, die lieber Zeit im Fitnessstudio als im Hörsaal verbringen. Sie sind extrem ehrgeizige Unternehmer, die eine Marktlücke entdeckt haben – weil sie ihre eigene Generation verstehen: Eine Smartphone-App ersetzt das Fitnessstudio, die Facebook-Gruppe das Vereinsheim, die Leistungsanalyse auf dem Smartphone den Personal Coach. Wer t ist, braucht für ein hocheffzientes Freeletics-Workout keine 30 Minuten, ist ortsungebunden. Und vor allem geht es nicht um die richtige Marke der Laufschuhe oder um fancy Sportgeräte, nicht einmal um neue Übungen – Körpergewichtsübungen gibt es seit den 20er-Jahren beim Militär, das räumen sie freimütig ein. Nein, es geht um die Köpfe der Menschen, an denen bisher jeder gescheitert ist. Die Freeletics-Gründer aber haben die Köpfe geknackt.

What’s next? Stay tuned!

Cornelius und Yilmaz, beide 26, haben sich beim BWL- Studium an der TU München kennengelernt, oder vielmehr direkt vorher: Als sie beide zu spät zur Immatrikulation kamen und nicht wussten, wo sie lang mussten. Matijczak, 27, und Cornelius sind in der gleichen Straße aufgewachsen. Alle drei studierten an der Columbia University in New York, hatten mehrere Stipendien und während des Bachelors Zusatzstudiengänge im Bereich Unternehmertum belegt. Sie machen alles zusammen, reden alle drei sehr viel und sehr schnell, beenden die Sätze der anderen oder wiederholen sie, schmeißen mit Anglizismen („vision“, „passion“, „impact“) um sich. Sie verstehen sich als organische Einheit. Das ist ihnen extrem wichtig. Tatsächlich unterscheiden sie sich in der Art, wie sie auftreten und sprechen, höchstens in Nuancen, die da wären: Cornelius, Modeltyp, redet noch schneller als seine Co-Founder. Manchmal joggt seine Zunge seinen Gedanken etwas hinterher. Dann verhaspelt er sich, bleibt trotzdem jederzeit extrem beherrscht. Bei der Tour durchs Büro achtet er sehr darauf, dass man sich die Whiteboards nicht so genau anschaut. Bei Fragen nach den Zukunftsplänen der Firma ruft er als Erster: „Stay tuned!“ Nur zu was, das verrät er nicht. Freeletics, das bedeutet auch Kontrolle hoch drei – des eigenen Körpers ebenso wie dessen, was man nach außen dringen lässt.

Yilmaz ist einen Kopf kleiner als Cornelius. Er macht die meisten Scherze. Matijczak gibt den Visionär im Team, zumindest benutzt er die Wörter „Vision“ und „Werte kreieren“ noch häufiger als seine Co-Founder. Redet er sich in Rage, wird er lauter, mehrfach betont er: „Wir essen das Brot, das wir backen.“ Und dass anfangs niemand außer ihnen dreien geglaubt hat, dass Freeletics funktionieren würde. Niemand. Das Gefühl, es denen gezeigt zu haben, befriedigt ihn sichtlich.

Bei Freeletics mögen sie es pathetisch: Alle Workouts tragen griechische Götternamen. Bei meinem Probetraining durfte ich mich an Dione abarbeiten, der Mutter der Liebesgöttin Aphrodite. Das Workout besteht aus 75 Hampelmännern, 25 Burpees – Sprüngen in die Liegestützposition und zurück –, 50 Leg-Levers – Beinhebern auf dem Rücken –, weiteren 75 Hampelmännern, 50 Sit-ups und noch mal 25 Burpees. Das Ganze dreimal – auf Zeit. Es ist die Hölle. Und es nimmt kein Ende.

„Es macht viel mehr Spaß zu sagen: ‚Ich hab Hades besiegt‘, als zu sagen: ‚Ich hab Workout sieben besiegt‘“, ist Matijczak überzeugt. Yilmaz: „Man fühlt sich wie ein Gott danach.“ Aphrodite machen klänge jedenfalls besser als Bauch-Beine-Po machen.

Schon zu Beginn ihres Studiums wussten die Freeletics-Gründer, dass sie eines Tages Unternehmer werden wollen und dass sie es gemeinsam versuchen müssen – aber keine Ahnung, womit. „Wir hatten nur uns“, sagt Cornelius. Bei ihren ersten Meetings an der Tischtennisplatte am Rande eines Bolzplatzes überlegten sie, woraus sich ein Business aufziehen ließe. Ernährungsthemen und Motivationstheorien interessierten sie, digitale Märkte sowieso. Hier sahen sie das größte Potenzial, Produkte zu entwickeln, die sich preiswert vermarkten und, einmal produziert, millionenfach verkaufen lassen. Auf das Thema Sport kamen sie nach einer Marktanalyse. „Seit den Jane-Fonda-Videos haben wir im Fitnessbereich keine echte Innovation mehr gesehen“, sagt Cornelius. Also beschlossen sie, ein Programm zu entwickeln, von dem die Menschen süchtig werden. Und sie wurden es. Es gebe Leute, die sich Freeletics tätowieren lassen wollten, sagen sie.

Ihre Workouts testeten die drei zunächst auf einem Sportplatz in München-Großhadern mit Menschen, die nicht Nein sagen konnten: Matijczaks Schwester, Cornelius’ Freundin, Yilmaz’ Freundin. „Es war kalt und regnete, keiner wollte“, erinnert sich Cornelius. Sie erzählten allen, die sie kannten, von ihrem Trainingsprogramm und gründeten die erste Facebook-Gruppe. „Wir versprachen ihnen, sie fit für den Sommer zu machen, wenn sie mit uns trainieren“, sagt Matijczak. Die Aussicht auf die perfekte Strandfigur brachte die ersten Testgruppen zusammen.

Bei meiner Feeletics-Einheit besiegt die Trainerin erwartungsgemäß Dione als Erste. Aus den Augenwinkeln beobachte ich, wie sie ein Stativ mit einer Spiegelreflexkamera auf eine dunkelhaarige, junge Frau in unserer Gruppe richtet. „Heute ist die schöne Elisa dran“, sagt Gebhardt und drückt auf den Auslöser. Elisa sagt nichts, sie konzentriert sich auf ihre Liegestützsprünge.

Bei allen Trainingssessions ließen die Gründer eine Kamera mitlaufen, um ihre Workouts zu analysieren und zu verbessern. Sie wollten nachvollziehen, wie sich unterschiedlich fitte Menschen beim Training schlugen, wie sauber sie die Übungen ausführen konnten, wie viele Burpees sie schafften, bis ihnen die Kraft ausging, wie rasch sie schneller und schlanker wurden. Und dann fiel ihnen ein, dass sich diese Aufnahmen auch hervorragend für Werbevideos eignen.

Erschaffung eines Models

Was aus der „schönen Elisa“ aus meinem Training geworden ist, konnte ich mir neun Monate später auf Youtube, Facebook und der Freeletics-Website anschauen. Elisa sitzt im Jeanshemd in ihrem Schlafzimmer und erzählt, wie sie im Web auf Freeletics gestoßen ist. Dann Elisa beim Training: stark schwitzend, mit zusammengekniffenem Gesicht auf der Münchner Theresienwiese. Elisa, die auf ihrer Matte kniet, sich auf die Oberschenkel schlägt, damit der Krampf nachlässt und mit zornigem Gesichtsausdruck weitere Burpees macht. Elisa, die in Sportklamotten auf einer Bank kauert, am ganzen Körper zittert und das Gesicht in einem Handtuch vergräbt. Immer wieder werden Bilder von der jungen Frau im BH eingeblendet, die zeigen, wie ihr Körper verändert wird. Am Ende sieht Elisa aus wie ein Sportmodel.

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