Productivity & New Work Anja Niekerken: „Wir sollten uns fragen, ob Arbeit Sinn bieten muss“

Anja Niekerken: „Wir sollten uns fragen, ob Arbeit Sinn bieten muss“

Dem Frust kündigen: Anja Niekerken, Natural Leadership Coach für Unternehmen, über Strategien im Umgang mit Ärger im Job – und was der mit unserem eigenen Ego zu tun hat:

Frau Niekerken, wie definieren Sie selber den Begriff Frust?

Frustration ist zunächst einmal etwas Kurzfristiges und kein Dauerzustand. Oft sind damit auch Emotionen wie Wut oder Enttäuschung verbunden. Ist man enttäuscht, liegt das oft daran, dass die eigene Erwartungshaltung zu hoch ist. Genauso verhält es sich mit Frustration. Ihr geht meist eine Erwartung voraus, die nicht erfüllt wird.

Stichwort „The Great Resignation“: Wieso scheinen momentan so viele Menschen Frust im Job zu erleben?

Das ist meiner Ansicht nach ein Zeitgeistphänomen, weil wir inzwischen andere Ansprüche an unsere Jobs haben, als nur Geld mit ihnen zu verdienen. Viele stellen sich die Frage, ob ihr Beruf sinnvoll ist. Diesen Sinn zu finden, das müssen wir noch lernen.

Ist denn Sinnsuche im Job tatsächlich notwendig oder gar unumgänglich?

Wir sollten uns grundsätzlich die Frage stellen, ob Arbeit überhaupt dazu da ist, uns Sinn zu bieten, oder ob uns ein Job ausreicht, der uns Spaß macht, und wir den Sinn außerhalb unserer Arbeit suchen. Beides ist richtig. Seit einiger Zeit wollen viele Menschen mit ihrer Arbeit vor allem einen Impact leisten. Das ist sehr begrüßenswert. Wir können aber nicht alle im großen Stil die Welt verändern. Wir können im Kleinen unser Umfeld besser machen, indem wir beispielsweise etwas Nettes für unser Team machen oder uns mit Kolleg:innen unterhalten, mit denen wir nicht viel zu tun haben. Einfach nur so, ohne dass jemand Geburtstag hat. Das vergessen wir. Wir denken schnell in zu großen Dimensionen. Man kann es auch mal im Kleinen versuchen.

In Ihrem Buch „Im nächsten Leben mach ich was Sinnvolles“ schreiben Sie, dass Frust etwas mit dem eigenen Ego zu tun hat.

Frust entsteht oft, wenn unser Ego angekratzt wird. Zum Beispiel, wenn Vorgesetzte einen Vorschlag ablehnen. Dann denkt man unbewusst, man wäre als Person nicht in Ordnung. Das stimmt aber nicht. Zusätzlich denken wir dann noch, dass wir nicht gut genug für unseren Job sind. Auch das stimmt so nicht. Der Vorschlag war vielleicht nur unpassend. Da muss man lernen zu erkennen, wann unser Ego überhandnimmt, nur so können wir dem Frust etwas entgegensetzen.

Ein Kapitel in Ihrem Buch heißt „Job-Frust trägt Zwiebellook“ – das müssen Sie uns bitte erklären.

Man muss schauen, woher der Frust kommt. Liegt er in den oberen Schichten, am Büro oder Arbeitsweg, dann ist es verhältnismäßig einfach, den Frust loszuwerden. Betrifft der Frust die nächste Schicht, sprich einen Kollegen oder eine Kollegin, dann wird es schwieriger. Kommen wir ins Innere und stellen fest, dass der Job uns frustriert, weil er nicht zu unseren Werten passt, dann sollte man ihn wechseln.

Woher weiß ich, dass es Frust ist und nicht nur eine schlechte Phase?

Da gibt es keinen einheitlichen Punkt, an dem man das festmachen kann. Das ist individuell. Wenn man ein halbes Jahr keinen einzigen Tag mehr hat, an dem man irgendwas Positives an seinem Job findet, ist es definitiv keine Phase mehr. Dann hat sich kurzfristiger Frust in Dauerfrust verwandelt, aus dem man ohne Hilfe nur sehr schwer selbst herauskommt.

Anja Niekerken „Im nächsten Leben mache ich was Sinnvolles“

Wie finde ich in diesen Zeiten etwas Positives?

Ist der Frust da, muss man aktiv hinterfragen, woran man Freude hat. Beispielsweise ein Gespräch mit dem Team oder an einer bestimmten Aufgabe. Denn der Mensch ist so gepolt, dass er grundsätzlich erst einmal den Fokus auf das Schlechte richtet. Deswegen rate ich dazu, wenn man Frust im Job verspürt, jeden Tag abends drei Dinge aufzuschreiben, die einem an diesem Tag Freude bereitet haben, und morgens drei Dinge aufzuschreiben, auf die man sich im Job freut. Das können auch Kleinigkeiten sein, wie ein Plausch mit dem Lieblingskollegen.

Was passiert mit Menschen, wenn sie eine Art „Jobtagebuch” führen?

Das richtet unseren Fokus neu aus. Wir alle tragen den „confirmation bias“ in uns. Wenn wir der Meinung sind, unser Job sei schlecht, dann konzentrieren wir uns auf die Dinge, die uns nerven und den Frust auslösen, weil wir unbewusst unsere Meinung bestätigt haben wollen. Wenn wir uns aber anstrengen, Gutes zu finden, dann ändert sich mit der Zeit auch unsere Bestätigungstendenz, und wir stellen im besten Fall fest, dass der Job gar nicht so schlimm ist.

Klingt nach zusätzlicher Arbeit.

Stimmt. Und wenn der Job wirklich blöd ist und jeden Tag schlimme Dinge bei der Arbeit passieren, dann hilft so ein Jobtagebuch auch nichts.

Wenn ich also in einer tiefen Schicht frustriert bin, hilft nur der Jobwechsel?

Nein, auf keinen Fall. Frustration ist zunächst einmal etwas ganz Normales. Sie zeigt uns Verbesserungspotenzial auf, rückt unser Selbstbild wieder zurecht und gleicht unsere Gefühle aus. Frust gehört zum Leben einfach dazu und ist, in seiner nützlichen Form, ein Korrektiv für unser Verhalten. Das bedeutet, dass, wenn wir etwas ändern, der Frust auch wieder weggeht. Wie in einer Beziehung. Zu unserem Job haben wir nämlich eine Beziehung wie zu Menschen, und das bedeutet Arbeit. Wir müssen in unsere Beziehung zu unserem Job Arbeit stecken. Genau wie in die Beziehung zu anderen Menschen. Auch wir dürfen schauen, wo wir etwas verbessern können, und unsere Erwartungshaltung hinterfragen.

Jeder kennt das Gefühl beim Aufstehen, dass man schlicht keine Lust hat. Wie differenziert man kurze Unlust und echten Frust?

Diese Unlust ist etwas anderes. Die ist mit einem kleinen Wutfaktor verbunden und völlig normal. Solange man wütend ist, kann man noch etwas tun. Wut, wenn sie nicht überhandnimmt, ist eine gute Kraft. Eine Energie, die man nutzen kann. Aber wenn man wirklich anfängt, unglücklich zu werden, ist es Zeit zu gehen. In der Regel hat man dann schon alles ausgeschöpft. Auch hier ist es ähnlich wie in einer Beziehung. Da schmeißen wir auch nicht gleich hin.

Wann sollte man denn hinschmeißen?

Einen klaren Zeitpunkt gibt es in der Regel nicht. Aber es gibt den Moment, in dem wir merken, dass wir wirklich nicht mehr zur Arbeit wollen, begleitet von einem schlechten Gefühl, das uns runterdrückt. Das ist meiner Ansicht nach ein guter Zeitpunkt, sich etwas Neues zu suchen.

Dieser Text stammt aus unserer Ausgabe 3/22. In unserem Dossier dreht sich dieses Mal alles um das Thema Climate-Tech. Auch mit dabei: Wie der Head of Hiphop dem Streamingriesen Apple Music endlich eine junge Zielgruppe zuführen soll. Außerdem: Was passiert im Super Startup Adventure Camp Barcelona? An welcher veganen Alternative arbeitet das Food-Tech-Startup Perfeggt? Und vieles mehr. Hier geht es zur Bestellung

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