Life & Style Das neue Sexy: Toan Nguyen über nerdige Werbung

Das neue Sexy: Toan Nguyen über nerdige Werbung

Memes und Gifs zu den unterschiedlichsten Serien, Filmen, Games und sogar politischen Großereignissen reißen die Internetherrschaft an sich.

Schon beim diesjährigen Super Bowl zeichnete sich der Trend ab, Elemente aus Filmen und Serien mit Werbespots verschmelzen zu lassen und Aldi hat in jüngster Zeit mit selbstironischen Alman-Memes auf Instagram geworben. Immer schön die popkulturelle Ader der Fans ansprechen. Es ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis Baby Yoda die Macht im Marketing vollständig übernimmt.

Fanwelten in die Werbung bringen: das hat sich Toan Nguyen zum Ziel gemacht, indem er Anfang des Jahres Jung von Matt/Nerd gegründet hat. Im Interview erzählt er, warum nerdy das neue sexy ist, wie Werbung und Fandom zusammenpassen und welches Universum in Deutschland am beliebtesten ist.

Toan, worin bist du ein absoluter Nerd?

Erstmal alles, was es an Comic- und Superheld*innen gibt. Aber auch japanische Anime-Serien wie „Dragon Ball Z“ oder „Naruto“ berühren mich zutiefst, während der „Pokémon“-Song hingegen meine Motivationsmusik vor großen Präsentationen ist. Wrestling mag ich auch, klar und Videospiele. Es ist schwer, eine Trennlinie zu finden, da ich zu diesen Menschen gehöre, die sich richtig in Dinge reinfressen, wenn sie ein Thema mal interessiert. Dann verschlinge ich jede Fachliteratur, jeden Podcast und jede BBC-Doku, die ich dazu finden kann. Mein letztes ‚Rabbit Hole‘ war beispielsweise der zeitgenössische Kunstmarkt – die Skurrilität, die da abgeht, fand ich zu faszinierend.

Was ist deiner Meinung nach überhaupt ein Nerd?

Eigentlich zwei Dinge: sau viel Identifikation und sau viel Überschusswissen. Nerds sind für mich Fans, die sich stark mit einer kulturellen Community identifizieren. Innerhalb dieser Community sammeln sie exorbitant viel Wissen an – oft auch Wissen, das für Außenstehende nicht decodierbar ist. Aber genau darin liegt der Charme. Nerds können untereinander anhand von kleinen Symbolen, Teilsätzen oder Memes kommunizieren und schnell Zugehörigkeiten erkennen. Brace yourself, this isn’t even my final form, level over 9000!

Früher wurden eher Einsiedler-Gamer*innen als Nerds bezeichnet. Heutzutage bezeichnen sich viele, die alle Staffeln „Game of Thrones“ gesehen haben und ein paar Fantheorien kennen, als Nerds. Ist nerdy das neue sexy?

Definitiv. Das hat auch viel mit der Bewunderung für Techies, Programmierer*innen und das Silicon Valley zu tun – also der Teilbereich unserer Wirtschaft, der in den letzten Jahren zu Reichtum gekommen ist. Auf einmal steht die Informatik-AG im Vergleich zu den coolen Skater*innen von damals in einem ganz anderen Licht. Sind Nerds sexy? Vielleicht. Geld ist es aber auf jeden Fall. Das Interessante ist, dass Nerds in der Coronakrise noch mehr Konjunktur bekommen. Noch nie standen Naturwissenschaftler*innen so sehr im Rampenlicht wie jetzt.

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Im Januar hast du Jung von Matt/Nerd gegründet. Wie passen Fandom und Marketing zusammen?

Gegenfrage: Wie viele Testimonial-Kampagnen gibt es mit Matthias Schweighöfer? Und wie viele mit Super Mario? Genau. Von dem einen ein bisschen zu viel und von dem anderen quasi gar nichts. In unseren Studien sehen wir, dass Super Mario eine Markenbekanntheit von 83 Prozent in Deutschland hat. 42 Prozent der Deutschen würden sich sogar als Fan bezeichnen. „Star Wars“ hat die gleichen Werte und jemand wie Batman hat eine Markensympathie von fast 65 Prozent. Testimonials im Marketing sind in Deutschland total ausgetreten: Sportler*innen, Musiker*innen, Schauspieler*innen und wenn man gar nicht weiter weiß, irgendein ein Instagram-Sternchen.

Wollen Fans überhaupt, dass ihre Lieblingscharaktere aus Spielen, Serien und Co. mit der Welt der Werbung verschmelzen?

Laut unseren Daten und der letzten Studie lautet die Antwort: ja, ja – ja! Bei eSport-Fans liegt die Akzeptanz für Werbung und Sponsoring bei 75 Prozent. Man muss die Psychologie dahinter natürlich verstehen: Anhänger*innen von Nerd-Kulturen wurden jahrzehntelang als einsame Kellerkinder ohne Freunde stigmatisiert. Wenn Marken wie Mercedes-Benz oder BMW dazu kommen und diese Community auf ein Podest heben, dann fühlt sich das erstmal nach ganz viel Wertschätzung an. Bei Anime-und Manga-Fans liegen die Werte noch höher.

Wie können Unternehmen von der Nerd-Kultur profitieren?

Eigentlich ganz einfach. Man muss nur die Logik anwenden, die man beispielsweise beim Sponsoring von Fußball-Vereinen anwendet. Man trifft auf Leute, von denen man weiß, was sie mögen und wie sie angesprochen werden können. Das Thema ist für diese Menschen und Fans beinahe etwas wie eine Religion – also etwas hoch Emotionales mit riesigem Stellenwert. Der Unterschied ist aber, dass es im Fußball 100 Mio. Sponsor*innen gibt. Manche Sponsorwände sehen aus wie ein Panini-Album. Bei Nerd-Kulturen hingegen ist noch viel Platz.

Und was haben Fans davon, wenn sich Elemente der Popkultur in der Werbung wieder finden?

Wenn sie das Element verstehen und decodieren können, dann fühlen sie sich schon mal angesprochen – vor allem, wenn es Elemente sind, die dem großen Mainstream nichts sagen. Und wenn wir ehrlich sind: Werbung, die jemanden heutzutage anspricht, ist schon relativ selten geworden. Die Realität ist doch, dass ich auf einen Artikel klicke und die Cookies mich danach so lange verfolgen, bis ich meine Browserdaten lösche. Aber klar: Mein Anspruch ist es natürlich, die Leute nicht nur anzusprechen, sondern sie auch zu unterhalten. Das gelingt mir mit Popkultur besser als mit Bannerwerbung.

Gedankenexperiment: Du bekommst von einer Staubsaugerfirma den Auftrag, eine Kampagne zu machen und die Welt von „World of Warcraft“ miteinzubeziehen. Wie setzt du das um?

In der Regel sind diese Aufträge nicht so konkret. Realistischer ist, wenn uns diese Staubsauger-Firma fragt, ob es Anknüpfungspunkte zwischen ihrer Marke, anvisierten Zielgruppen und Fandom-Communities gibt und wie man diese praktisch umsetzt. Spontan bieten sich natürlich Held*innen an, die irgendeine übernatürliche Anziehungskraft haben, Magneto von den X-Men zum Beispiel. Am Ende des Tages würde ich wahrscheinlich eher einen epischen „Ghostbusters“-Weg für ältere Zielgruppen und einen „Fortnite“-Weg für jüngere gehen. Der Staubsauger quasi als ultimative Spielzeug-Waffe, verschweißt wie eine Action-Figur für Männer, die wieder Jungs sein wollen. Der Gradmesser bei sowas ist für mich immer einfach: Wenn dein*e Partner*in dich für bekloppt hält, dann ist die Idee gut!

Squadgoals GIF by Ghostbusters  - Find & Share on GIPHY

Welche Kanäle oder Medien eignen sich für derartige Werbungen?

Jeder liebt Memes. Nerds lieben Memes. Nerds bauen Memes. Als große Marke offiziell – damit meine ich legal – Memes zu nutzen, ist natürlich eine riesige Chance. Aber das Spielfeld ist unendlich. Im Bereich von Action-Figuren erarbeiten wir beispielsweise gerade Limited Collections für FMCG (Anm. d. Red: Fast Moving Consumer Goods sind Produkte des alltäglichen Bedarfs, die sich schnell verkaufen lassen). Und wer weiß, in welcher Kampagne wir mal Super Mario oder Son Goku sehen werden.

In einer Studie habt ihr erhoben, wie nerdig Deutschland ist. Ist der deutsche Markt offen für nieschiges Nerdtum in der Werbung oder sind wir dafür noch zu spießig?

Die Antwort ist, dass Deutschland signifikant nerdiger ist, als man denkt. 47 Prozent aller Deutschen mögen Gaming, 33 Prozent aller Deutschen lieben Superheld*innen und immerhin 17 Prozent mögen Anime und Manga. Das ist fast jede*r Fünfte im Spektrum der 14 bis 49-Jährigen. Die Zielgruppe ist auf jeden Fall längst bereit dafür, aber jetzt müssen die Marken nachziehen.

Welche Serien, Filme, Games und fiktionale Universen hätten eine Chance, im deutschen Mainstream anzukommen?

Ein Franchise wie Super Mario hat eine gestützte Markenbekanntheit von über 70 Prozent in Deutschland, 18 Prozent der Menschen würden sich sogar als „Hardcore-Fan“ bezeichnen. Auch „Dragon Ball Z“ sagt 67 Prozent der Menschen etwas, jede*r Zehnte ist ein Die-Hard-Anhänger. Die meisten Fans hat aber momentan das Marvel-Universum, 79 Prozent der Menschen kennen das Franchise, knapp 30 Prozent sind große Fans.

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Jetzt befinden wir uns auch aktuell in der Corona-Krise. Was kann man aus der Nerd-Kultur daraus schöpfen?

Unsere Daten zeigen, dass Nerd-Kulturen in Krisenzeiten an Bedeutung zunehmen. Geschichten rund um und mit Superheld*innen und Fantasy helfen den Menschen, den Stress zu vergessen und dem Alltag zu entfliehen. Neben dieser Form des Eskapismus kommt aber noch ein weiterer, sehr emotionaler Aspekt hinzu: Nerd-Kultur erinnert uns an den schönsten Ort in unseren Erinnerungen, nämlich unser Kinder- und Jugendzimmer! In Zeiten von Corona ist das die absolute Gewinn-Formel. Neben der Theorie kommt aber noch ein praktischer Seiteneffekt dazu: Niemand kann momentan shooten oder große Filme drehen. Die Nerd- und Popkultur bietet genug Archiv-Material und genug Content. Man muss es nur kreativ nutzen. Und sich trauen.

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